2 Kommunikative Praxis in der Schule und praktische Rhetorik

2.5 Gesprächsformen einüben und leben lernen










Gesprächsfähigkeit ist eine zentrale Qualität der Kommunikation,
die in der Schule von allen daran Beteiligten, den Schüler/innen wie den Lehrer/innen, möglichst weitgehend beherrscht werden sollte.

Der Sprechwissenschaftler Helmut Geißner hat eine klare Definition vorgelegt:

"Gesprächsfähig ist, wer im situativ gesteuerten, personengebundenen, sprachbezogenen, formbestimmten, leibhaft vollzogenen Miteinandersprechen - als Sprecher wie als Hörer - Sinn so zu konstituieren vermag, dass damit das Ziel verwirklicht wird, etwas zur gemeinsamen Sache zu machen, der zugleich imstand ist, sich im Miteinandersprechen und die im Miteinandersprechen gemeinsam gemachte Sache zu verantworten. " (Geißner: 1981, S. 129)

Lehren und Lernen vollzieht sich immer in der Interaktion der Schüler/innen untereinander und der mit den Lehrer/innen. Alle gestalten den Gesprächsprozess mit, verständigen sich verbal und nonverbal, auch wenn die Rollenverteilung überwiegend asymmetrisch genannt werden kann. Wesentlich ist es deshalb, Gesprächsprozesse steuer- und durchschaubar zu machen und bewusst zu strukturieren.

Innerhalb der schulischen Lern- und Lehrprozesse gibt es eine Vielzahl von Gesprächsformen, die jeweils eigene Merkmale haben. In den folgenden Teilen des Lernprogramms werden wir Ihnen die wichtigsten dieser Gesprächsformen vorstellen - theoretisch und auch in Beispielen. Es gibt dann auch Fragen, Übungen und 'Drehbücher' zu den verschiedenen Typen.

Gutes Verstehen im Gespräch hängt ab von folgendem Verhalten:

  • dem genauem Ausdruck und gemeinsamen Verständigungsmitteln,
  • davon, dass die Partner/innen über das Gleiche sprechen und nicht Verschiedenes meinen,
  • davon, dass beide bereit sind, die andere Person zu akzeptieren und deren Meinung ernst zu nehmen,
  • davon, dass alle versuchen, nicht zu viel in einem Beitrag zu sagen, da sonst die anderen nur verwirrt werden.

 

Fehler, die die Verständigung beeinträchtigen:

Hörer-Fehler: Sprecher-Fehler:
Man probt, während andere noch sprechen, bereits den eigenen nächsten Gesprächsbeitrag. Man organisiert die Gedanken nicht, bevor man spricht.
Der Hörer erfasst nicht den ganzen Sinn der Aussage. Es werden zu viele Aussagen und Ideen unverbunden in eine Äußerung gebracht.
Man versteht mehr als die Partner sagten, weil man deren Gedanken weiterdenkt. Es wird aus Unsicherheit immer weiter geredet, ohne die Auffassungskapazität der Hörer zu berücksichtigen.
Weniger Vertrautes wird in eigene Denkschemata eingeordnet. Man überhört bestimmte Punkte in den Ausführungen der Partner.

 

Die verschiedenen Arten von Gesprächen unterscheiden sich u. a. durch den Grad ihrer 'Verregelung':

Diskussion, Streitgespräch, Pro-und-Contra-Gespräch, Debatte sowie sokratischer Dialog sind stark verregelte Schülergespräche, die meist der Erörterung umstrittener konsensbedürftiger Fragen und Probleme dienen. Diese durch die Medien geprägten Gesprächsformen, die ihren Vorläufer in der Disputation des Mittelalters haben,
dienen der Einübung in demokratische Formen der Konfliktlösung sowie der Schulung der Argumentationsfähigkeit.

Wir konzentrieren uns auf folgende Gesprächsformen:

  1. Offenes Gespräch
  2. Lehrergespräch oder gelenktes Unterrichtsgespräch
  3. Fragend-entwickelndes Gespräch
  4. Freie Diskussion
  5. Debattenformen
  6. Moderation
  7. Kontrollierter Dialog/Aktives Zuhören

1. Offenes Gespräch

Das offene Gespräch, die Unterhaltung, die häufig am Beginn einer Themenbearbeitung, z.B. einer Textinterpretation steht, ist die am wenigsten formalisierte Form. Hier nimmt sich die Lehrperson weitgehend zurück und lässt den Schüler/innen freien Raum, ihre eigenen Erfahrungen, Bedürfnisse und Phantasien spontan zu äußern, zu veröffentlichen und zu reflektieren.

2. Im Lehrergespräch oder gelenkten Unterrichtsgespräch
gibt der Lehrer Inhalt und Ziel des Gesprächs vor und motiviert die Schüler/innen gleichzeitig, durch regelmäßige Zwischen- und Rückfragen (Verständnis-, Wiederholungs-, Beispiel-, Prüfungsfragen) zum aufmerksamen Nachvollziehen des Gedankenganges.

3. Im fragend-entwickelnden Gespräch,
auch sokratischer Dialog genannt, weil Platon in seinen philosophischen Erörterungen Sokrates als entwickelnden Gesprächsführer auftreten lässt. Der Lehrer nutzt geschickt die Vorkenntnisse der Schüler/innen sowie ihr logisches oder psychologisches Argumentationsvermögen, um einen Sach-, Sinn- oder Problemzusammenhang aus ihrer Sicht und in der Sprache der Schüler/innen fragend zu entwickeln.

4. Freie Diskussion
Diskussionen können sehr lebendig sein und im gegenseitigen Austausch zu neuen Erkenntnisweisen und Perspektiven führen. Wir alle verfolgen Diskussionen im Fernsehen oder nehmen vielleicht selber an solchen Gesprächen teil. Sie können spontan und informell sein, aber auch stärker reguliert durch Diskussionsleiter/innen.


Auf jeden Fall gilt es, bestimmte Gesprächsregeln einzuhalten, damit kein Chaos entsteht und jeder zu seinem Recht kommt, besonders im schulischen Kontext:

  • Wahrheitsvermutung: Man begegnet dem Anderen nicht mit Vorurteilen, er wolle lügen oder andere hereinlegen. Man nimmt normalerweise an, dass jemand einem die Wahrheit sagt.
  • Gesprächsdisziplin: Eine stillschweigende Vereinbarung besagt, dass man sich gegenseitig zuhört, den anderen auch zu Worte kommen lässt und ihn nicht niederschreit, geschweige denn zu körperlichen Angriffen Zuflucht nimmt. Auch das gab es schon und gibt es gelegentlich immer noch.
  • Sachlichkeit: Persönliche Angriffe und unfaire Attacken müssen unbedingt vermieden werden, sonst ist es nicht möglich, zu einem kooperativen Gespräch zu gelangen.
In kleineren, vertrauten und auf der persönlichen Ebene weitgehend konfliktfreien Gruppen funktionieren diese einfachen Regeln der Diskussion meist problemlos. Bei Diskussionen mit vielen Teilnehmer/innen oder in konflikthafter Atmosphäre ist es aber eine Gesprächsleitung notwendig, manchmal müssen auch Formen der Moderation (siehe unten) angewendet werden.



5. Debattenformen
Debatten kennen wir vor allem aus den Parlamenten. Sie dienen der Entscheidungs-findung für Gesetze und unterliegen strengen Regularien, der Geschäftsordnung und speziellen Ausführungsbestimmungen sowie der Leitung etwa durch den Parlaments-präsidenten.
Man kann aber auch im Unterricht in spielerischer Weise Debatten planen und durchführen; dabei geht es dann um die Einübung in formalisierte Gesprächsformen und das Training der dazu erforderlichen Fähigkeiten, vor allem die angemessene Argumentation.

6. Moderation
Die Moderation (von moderamen, lat. Hilfsruder) ist eine sehr moderne Form der Gesprächsführung. Neben den formalen organisatorischen Bedingungen werden auch die Beziehungsebene und das inhaltliche Geschehen von der moderierenden Person mitgestaltet.
Eine spezielle Form von Moderation ist die Metaplantechnik. Darunter versteht man die visualisierte Leitung von Gesprächsprozessen, bei der einzelne Gedanken stichwortartig
auf Kärtchen geschrieben und gemeinsam an Pinnwänden strukturiert und bewertet werden. Diese eignet sich v.a. für gemeinsame Arbeitsgespräche, die der Klärung und Entscheidung dienen.

Moderatoren brauchen vor allem die folgenden Qualifikationen, die wir auch von den Gesprächsregeln her kennen:
  • Zuhören,
  • Verstehen,
  • Zusammenfassen.

7. Kontrollierter Dialog

Beim Kontrollierten Dialog wird das Gespräch so geführt, dass eine Person spricht, und eine andere Person zuhört. Ist die sprechende Person mit ihrem Beitrag zuende, wiederholt die zuhörende Person das, was sie von dem Gesprächsbeitrag der anderen Person verstanden hat, und spricht dann über ihre eigenen Ansichten. Daraufhin wiederholt die zuhörende Person das Gehörte in eigenen Worten und spricht dann darauf bezogen in eigener Sache.
So entsteht ein zeitverzögertes Gespräch, das dazu dienen soll, das gegenseitige Verständnis zu sichern, da durch die stetige Wiederholung des eben Gehörten Missverständnisse schon im Vorfeld sichtbar werden und geklärt werden können. Deshalb ist diese Gesprächsform besonders für schwierige Gespräche über kontroverse Themen sehr hilfreich.
Dass man im Alltag nicht immer so kontrolliert diskutieren kann, versteht sich von selbst. Man sollte aber in der Lage sein, jederzeit einen Gesprächsablauf so kontrolliert durchführen zu können.



 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Beispiel für ein gelenktes Gespräch



Beispiel
für einen Unterrichtsvorschlag aus einem Schulbuch für die 7. Klasse



Vertiefung zum sokratischen Dialog

 

 

 

 

 

 

 

 













Übung zur amerkanischen Debatte

 

 

 

 

 

 

 




Übung zum
kontrollierter Dialog









Literatur