Die Psychologin und Psychoanalytikerin Ruth C. Cohn, 1912 geboren,
entwickelte im amerikanischen Exil das Konzept der Themenzentrierten
Interaktion, im folgenden TZI.
Die TZI soll zu einem aktiven, schöpferischen und entdeckenden
Lernen, zu einem lebendigem Lernen und Arbeiten verhelfen.
Die Berücksichtigung des Menschen steht bei der TZI-Methode
im Vordergrund.
Sie strebt ein dynamisches Gleichgewicht an zwischen den Bedürfnissen
der einzelnen Personen, der Gruppe, deren Aufgabe und dem Umfeld.
Damit berücksichtigt die TZI wichtige Aspekte des Nachrichtenquadrats:
die Sach-, Beziehungs-, Appell- und Selbstoffenbarungsebene.
Einsatz findet die TZI heute in allen Arbeits- und Lebensbereichen,
insbesondere in der Erwachsenenbildung, neuerdings auch in der
Schule.
Eine Reihe von Handlungsgrundsätzen
der Kommunikation sind im TZI-Strukturmodell Ruth Cohns festgehalten:
das Ich-Postulat:
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Sei dein eigener Chairman! (deine eigene Leitperson)
Es gibt Dinge, die ich ändern kann, also tue ich´s.
Es gibt Dinge, die ich nicht ändern kann, also lasse
ich´s.
"Wenn die Realität
der Einzelnen, der Gruppen und Institutionen - gut oder
böse - akzeptiert wird, wird der Weg zur Veränderung
frei."
(Ruth C. Cohn)
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das Wir-Postulat: |
Die Menschen in der Gruppe haben ein gemeinsames Anliegen;
dabei gilt: Störungen und Betroffenheit haben Vorrang,
werden ernst genommen .
"Wer an Lösungen interessiert
ist, muss lernen, sich in die Tiefe zu begeben, ein Problem
auszuloten. Das heißt häufig, nicht oberflächlich
sein, sich non-konform verhalten, unbequem sein." (Ruth
C. Cohn)
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das Es-Postulat: |
Das Thema ist wie ein runder,
zu erkundender Raum. Es hat viele Eingangstüren. Jeder
muss seinen eigenen Zugang suchen. |
das Globe-Postulat: |
Das Umfeld der Gruppe ist
eine reale Gegebenheit und muss bei der Arbeit berücksichtigt
werden. Jeder Faktor beeinflußt jeden.
"Das System beeinflußt
die beteiligten Menschen und die Menschen beeinflussen das
System. So kann jeder Gruppenteilnehmer Einfluß nehmen
auf das System." (Ruth Cohn) |
Eine TZI-erfahrende Lehramtsanwärterin
baute diese Wunschstatue in einem Szenischen Spielseminar:
Es stellt eine Klassengemeinschaft dar,
in der die Lehrerin Teil des Ganzen ist und in der alle zusammenarbeiten.
In dem Aufsatz von Dr. Christine Wolbrandt wird das Menschenbild
der TZI wie folgt ausgeführt:
Das Gruppengespräch als Reifungsweg
Erfahrungen mit der themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn
- Jeder Mensch hat einen einmaligen Platz in der Welt.
Er ist ein autonomes Wesen, nimmt diese Autonomie aber nur unvollständig
wahr.
Werden die Menschen dazu fähiger, empfinden viele das als
Gesundung.
- Der Mensch ist ein ganzheitliches Wesen, das in seiner Leiblichkeit
im Denken, Fühlen und Handeln eine Einheit ist.
- Der Mensch ist ein Wesen, das in ununterbrochener Beziehung
zu anderen steht,
auch wenn er sich zeitweilig zurückgezogen hat.
- Der Mensch ist ein verantwortliches Wesen, das auch zu verzichten
bereit ist, sofern seine Bedürfnisse von den anderen wahrgenommen
und anerkannt werden.
- Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen. Er lebt in der Spannung
von Vergangenheit und Zukunft und hat sich in der Gegenwart
zu bewähren.
- Der Mensch fühlt sich gesund, wenn er zwischen diesen
verschiedensten Polaritäten die
Balance immer neu herstellen kann.
TZI in der Schule
Die folgenden Vorschläge für einen TZI-orientierten
Unterricht stammen aus einem Aufsatz von Christina Terfurth, Lehrerin
an der Ecole d´Humanite, Jesuiten-
und Staatsschule Hasliberg Goldern, Schweiz.
Terfurth führt folgende Faktoren an, die
eine TZI-Orientierung im Schulunterricht ausmachen:
- Schüler/innen sollen sich wirklich mit Themen auseinandersetzen
und lernen Verantwortung für sich und für die anderen
zu übernehmen.
- Beide Seiten, Lehrer/in und Schüler/innen sollen sich
wohlfühlen, so dass eine offene, flexible, wachsame und
lebendige Athmosphäre im Klassenraum entstehen kann.
- Sinn und Sinne sollen angesprochen werden, die Gestaltung
des Klassenzimmers soll eine Welt im kleinen (Globe-Idee) sein,
eine Grundlage für ein konstruktives Miteinander, das sich
außerhalb der Schule fortsetzen kann.
- Die Lehrer/in sollte wach sein für die Vorbehalte und
Vorlieben von Schüler/innen und sie in die Planung des
gemeinsamen Lehrens und Lernens mit einzubeziehen
- Die Schüler/innen sollen sich gegenseitig wahrnehmen,
mit- und voneinander lernen, in ihrer Verschiedenheit akzeptiert
werden und Solidarität spüren.
Mit den folgenden Unterrichtsbeispielen
aus dem Deutschunterricht mit ausländischen Jugendlichen
will Frau Terfurth dazu anregen, den Unterricht nach den Grundprinzipien
der TZI zu gestalten, ohne ein starres Raster damit vorgeben zu
wollen, da dies nicht in den Plan des lebendigen Lernens passt:
1. Adjektive in Interaktion
Die Lehrerin fordert alle Schüler/innen auf, ein eigenes
Kinderfoto mit in die Schule zu bringen. Am Anfang der Stunde
sammelt die Lehrerin die Fotos ein, ohne dass die Fotos bereits
herumgezeigt werden konnten.
Nun werden die Fotos vermischt an jeden einzelnen verteilt, möglichst
so, dass jeder/jede ein Foto hat, das nicht ihn oder sie im Kinderalter
zeigt.
Die Schüler/innen sollen sich nun gegenseitig detailliert
die Fotos beschreiben, je mehr Adjektive für die Beschreibung
benutzt werden, desto interessierter sind die Mitschüler/innen.
Durch diese interessierten Reaktionen sind alle angespornt, die
Fotos und Originale genau zu betrachten und zu beschreiben, um
herauszufinden, welche Person in der Klasse auf dem Foto abgebildet
ist.
So lernt sich die Klasse besser kennen, alle kommen sich näher,
das Anwenden von Adjektiven und die deutsche Sprache werden geübt,
und eine lebendige Interaktion entsteht.
2. Wortschatzerweiterung und Zusammengehörigkeitsgefühl
Viele der Schüler/innen von Frau Terfurth leben in einer
Großfamilie, so dass Familienbindungen besondere Wichtigkeit
für sie haben, die Familie ist Orientierungshilfe, Stütze
und Sicherheit. Auch kommen viele aus Einwandererfamilien und
müssen so auf verschiedensten Formularen ihre Verwandtschaftsbeziehungen,
ihre Herkunfts- und Gegenwartsverhältnisse darlegen.
Das ist der Hintergrund auf dem die Lehrerin ihre Schüler/innen
in der Stunde fiktiv miteinander verheiratet und verschwägert:
Sie zeichnet einen großen Stammbaum an die Tafel und beginnt:
"Coscum heiratet Rahma". Die Schüler/innen reagieren
mit gespielter Entrüstung und Spannung, wer denn nun das
Kind der beiden werde, sie entscheiden bei der "Familienplanung"
mit, alle arbeiten übermütig miteinander. Selbst am
nächsten Tag beobachtet Frau Terfurth noch, dass einige in
ihren fiktiven Wahlverwandtschaften weiter miteinander interagieren:
ein Schüler kommt zu ihr, zeigt auf einen anderen Schüler
in der Klasse und sagt entrüstet: "Mein Vater gibt mir
kein Geld für ein Brötchen am Kiosk Frau Terfurth!".
Diese Stundengestaltung hat sowohl den Wortschatz hinsichtlich
der Verwandtschaftsbeziehungen erweitert als auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl
in der Klasse bestärkt.
3. Imperativ und Selbstbestimmung
Wie im Ernst befiehlt die Lehrerin zu Anfang der Stunde: "Sibel,
schließe das Fenster!", "Hayat zähle einmal
bis 60.", "Sali, stehe auf!", "Joanna gieße
bitte die Blumen!", "Loan, mach´mal bitte drei
Kniebeugen!", Fahri, geh zu Adem und wünsche ihm einen
guten Morgen!","Fouwzia, putze bitte die Tafel...!
Die Schüler/innen befolgen die Aufträge und als Mohamed
als zehnter einen Befehl von der Lehrerin erhält, äußert
er seine Entdeckung: "Sie sagen - wir machen!" An dieser
Stelle bricht die Lehrerin die Hinführung zum Thema ab und
alle überlegen, was in den letzten Minuten passiert ist.
Sie notiert die Befehle an die Tafel, die von den Schüler/innen
wiederholt werden und alle erkennen, dass es eine wiederkehrende
grammatische Form darin gibt. Daran anknüpfend werden die
grundsätzlichen Merkmale des Imperativ zusammen herausgearbeitet.
Die Klasse spricht danach darüber, ob Befehle sinnvoll sind
und wenn ja, welche.
Dabei stellt eine Schülerin fest: "Ich habe einfach
gemacht, was sie sagen. Sie sind die Lehrerin! Sie wissen, was
richtig ist. Aber ihr Befehl war blöd."
Während des weiteren Gesprächs wird den Schüler/innen
klar, dass sie lernen müssen zu unterscheiden, welcher Befehl
Sinn macht und welcher besser unerledigt bleibt. Damit, so Frau
Terfurth, unterstützt das Selbstbewusstsein und die Eigenständigkeit
der einzelnen Schüler/innen. Diese sollen nicht nur "passive
BefehlsempfängerInnen" (S.24)
bleiben, sondern ihre Bedenken gegenüber manchen Befehlen
sprachlich reflektieren können.
Als letzten Schritt der Unterrichtseinheit sollen sich alle selbst
sinnvolle Befehle ausdenken, die sie an bestimmte Personen richten
wollen. Dabei sollen sie sich in beide Perspektiven hineindenken,
in die agierende und reagierende.
Dieser geübte Umgang mit Sprache hilft, so Frau Terfurth,
bei der Integration in einer fremden Welt, und nicht nur auf das
Wohlwollen der anderen angewiesen zu sein, sondern auch die eigenen
Anliegen "selbst in die Hand und den Mund" nehmen zu
können.
4.Störungen ins Stundenthema integrieren
und Schüler/innen ernstnehmen
Frau Terfurth wurde am frühen Morgen von der Polizei aus
dem Bett geklingelt, da ein Betrunkener in ihr Auto gefahren war.
So wurden ihre Personalien aufgenommen, sie musste vor der Schule
viel erledigen, unter anderem sich noch um eine Mitfahrgelegenheit
zur Schule zu kümmern.
Als sie im Klassenzimmer ankam, war sie innerlich völlig
abgehetzt. Sie entschied sich, ihr augenblicklichen Gefühle
ins Stundenthema "Grenzsituationen", Religionsunterricht,
neunte Klasse, mit einzubeziehen und berichtete den Schüler/innen
von den Erlebnissen am Morgen.
Diese reagierten mit Neugierde und Verständnis auf ihr Erzählen
und nahmen den Vorschlag von Frau Terfurth an, eine Stillarbeit
zur Fragestellung "Wie gehe ich mit meinen Grenzen um?"
zu machen. Methodisch angeregt wurde die individuelle Beschäftigung
durch viele verschiedene ausgeschnittene Fotos aus Zeitungen und
Zeitschriften, die Grenzerfahrungen darstellten: ein nacktes Kind
auf der Strasse, eine geknickte Blume, ein weinender Mann, die
in der Klasse verteilt wurden. Die Schüler/innen suchten
sich eines oder mehrere Abbildungen als Ausdruck eigener Verhaltensweisen
aus und hatten wie die Lehrerin Zeit, sich in Stille mit diesen
Situationen auseinanderzusetzen.
Zwei Dinge geschahen während der Stunde: die Schüler/innen
erlebten die Lehrerin als eine Person, die das Stundenthema mit
eigenen Erfahrungen glaubhaft macht und erlebten sich gleichzeitig
selbst als ernstgenommene Gesprächspartner/innen, fühlten
sich in ihrer Verantwortlichkeit angesprochen. Die Lehrerin konnte
so nach dem Schreck des Morgens zu sich kommen und wieder unbeschwerter
am Unterrichtsgeschehen teil-nehmen. Die Störung wurde zum
Teil des Themas, auch die Schüler/innen sollten lernen, Störungen
in ihrem alltäglichen Leben zu thematisieren.
2.7 Rollenspiel und szenisches Spiel
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2.9
Kommunikative Strassensperrenund Türöffner
von GORDON
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