1. Rollenspiel
Das Rollenspiel ist in der Schulpraxis eine Übungsform der
sanktionsfreien Rollenübernahme, um gesellschaftliche
Rollen kennenzulernen und einzuüben.
Im Folgenden wird das pädagogische Rollenspiel in seiner
Realisierungspraxis im Unterricht betrachtet.
Eine gespielte Unterrichtssituation
in der Schule
Josef Broich, Autor eines bekannten Buches zum Rollenspiel, definiert
es so:
"Das Rollenspiel ist ein handlungsorientiertes Spielverfahren.
Das Verhalten der Teilnehmer ist im Rollenspiel von Rollen geprägt,
die erfahren, gewechselt und geändert werden. Diese Spielerfahrung
schafft für den Rollenhandelnden die Vorraussetzung einer
Rollendistanz,
mit deren Hilfe die Rollen in der Lebenswirklichkeit unterschiedlich
gestaltbar sind.
Die Rollenspielpraxis richtet sich nach den Interessen der Mitspieler.
Als Grundvorraus-setzung aller unterschiedlicher Rollenspielverfahren
gilt das spielerische Erleben in Als-ob-Situationen, wobei das
Spielen und nicht ein Zurschaustellen im Vordergrund steht.
Die Erfahrung verschiedener Wirklichkeiten im Rollenspiel, eine
veränderbare Eigen- und Fremdwahrnehmung und die Möglichkeit
zum Ausprobieren eigener Verhaltensvor-stellungen bieten sich
zu einer Erfahrungsübertragung in die eigene Wirklichkeit
an. Erfahrungsgemäß ist dabei bereits vieler erreicht,
wenn das Spielen mit Rollen zu einer Verhaltenssicherheit außerhalb
der Spielsituation nachhaltig beiträgt und sich dabei Ansätze
einer Kooperationsfähigkeit festigen."(Broich
1999: S. 9)
Rollenübernahme und Rollenspielpraxis
Ursprünglich wurden Rollen im Theater von Schauspieler/innen
gespielt. Die Darsteller/innen verkörpern dabei die Rollen,
die sie vortragen. Dabei vertauschen sie die eigene Wirklichkeit
mit der Wirklichkeit der gespielten Rolle.
Dadurch, dass jeder Mensch während seiner Entwicklung ein
bestimmtes Programm von Verhaltensmustern erwirbt, besitzt er
auch die Fähigkeit, verschiedenen Rollen anzunehmen und diese
Rollen zu wechseln. Bestimmte Erwartungen sind an alle Rollen
bezüglich des Verhaltensmusters geknüpft. In der Rolle
drücken sich also die Erwartungen Dritter und gesellschaftliche
Normen aus, die auf uns eingewirkt haben und täglich weiter
einwirken.
Rollenspiele werden von Spielleiter/innen,
oft Lehrer/innen, angeleitet und können je nach Kontext
spontan und frei oder vorbereitet nach Anweisungen und Textvorlagen
(Rollenkarten) erfolgen. Es können eigene Problemsituationen
oder fremde fiktive Rollen, z.B die einer literarischen Figur
gespielt werden. |
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Die Ziele des Rollenspiels sind nach Broich
in zwei Vorstellungen zu suchen:
Zum einen bietet das Rollenspiel die Möglichkeit zur Verbesserung
der eigenen Handlungsfähigkeit und zum anderen gibt das Rollenspiel
die Trainingsmöglichkeit bestimmter sozialer Fähigkeiten
und Fertigkeiten. Zur Realisierung sozialer Sítuationen
auch im Spiel sind Kompetenzen notwendig, die sich unter den beiden
Begriffen soziale Kompetenz und kommunikative
Kompetenz
zusammenfassen lassen. Vor allen die soziale Kompetenz
dient beim Rollenverhalten dazu, Rollen flexibel zu gestalten.
Die kommunikative Kompetenz ermöglicht die mimische und sprachliche
Fähigkeit zum Umgang mit Lebenssituationen.
Die neun Ziele des Rollenspiels sind:
Antizipation,Empathie,
Entscheidungsfähigkeit, Kommunikationskompetenz, Kreativität,
Selbstbestimmung, Situationsbewusstsein, Kooperation.
Pädagogische Rollenspiel dienen einer selbstgesteuerten
Erfahrungsbildung und gewährleisten eine vertiefte kognitive
Annäherung an literarische Werke. Auch machen sie lern-und
erfahrungsintensive, ermutigende Lernprozesse möglich.
Einsatz des Rollenspiels und der Spielphasen
In den folgenden Kontexten wird das Rollenspiel
als Methode eingesetzt:
in der Schule bei Szenischem Spiel, Szenischer Interpretation
und darstellendem Spiel, in Kommunikations- und Konflikttrainings
auch außerhalb der Schule, in Zukunftswerkstätten und
Planspielen, in betrieblichen Assessment Centern zur Personalauswahl
und in der Therapie in dem von Moreno entwickelten Psychodrama.
Bei der Hinführung und dem Einsatz des Rollenspiels lassen
sich nach Broich aufeinander aufbauende
Spielphasen unterscheiden:
- Die Hinführung
zur Spielfähigkeit ist nötig, da durch ungewohnte
öffentliche Gruppensituationen eine Spielhemmung auftreten
kann. Deshalb ist die Vorraussetzung für das Gelingen,
dass vor jedem Rollenspieleinsatz eine möglichst hohe Gruppensicherheit
der Spieler/innen mit einer gemeinsamen Zielsetzung geschaffen
wird. Ein Mittel zur Rollenspielbefähigung sind nonverbale
und verbale Interaktionsübungen.
- In der Motivationsphase wärmt
sich die Spielgruppe auf, es werden Vorinformationen zu der
zu spielenden Szene, zum Spielinhalt, zum Spielverlauf, zur
Rollenbesetzung und zu den Beobachtungsschwerpunkten gegeben.
Auch wird die Rollenübernahme mit den Mitspieler/innen
und Beobachter/innen geklärt, die Regelung zum Rollentausch
wird besprochen. In der Spielpraxis sind die Stufen der Motivationsphase
nicht immer einhaltbar, da die Spielvorbereitung im Vergleich
zum Spiel selbst als sekundär angesehen wird. In diesem
Fall sollte die Interaktionsphase vorher stärker berücksichtigt
werden.
- Die nächste Phase beinhaltet das
Spielbarmachen der Spielsituation, indem der Szenenaufbau
und der Spielinhalt geplant wird: Wer, warum, wo, wie, wann,
was - mit den Bedingungen des realen Umfeldes. Auch werden die
konkreten Beobachtungskriterien der Zuschauer/innen vereinbart,
wobei auf den Wirklichkeitsbezug des Spiels bei den Verhaltensweisen,
den Kommunikationsformen und den Problemlösungsstrategien
der Spieler/innen geachtet werden muss. Diese Kriterien gehen
von einem idealen Spielaufbau aus.
- Bei der Spielphase wird die Spielzeit
eines spontanen und freien Rollenspiels auf höchstens 10
Minuten begrenzt. Bei einer längeren Spielzeit wird die
Spielunlust der Mitspieler/innen erhöht und schränkt
die Beobachtungsfähigkeit der Zuschauer/innen im Spielablauf
erheblich ein.
Situation auf dem
Schulhof:
die Lehrerin kümmert sich um ein weinendes Kind, eine Kollegin
kommt dazu
Zur Spielnachbereitung zählt
vor allem die Spieler/innen und Beobachter/innenbefragung mit
der Diskussion über den Spielverlauf nach vorher vereinbarten
Kriterien. Hieran schließt sich im Idealfall ein Neu- und
Andersspielen als Spielrevision einzelner Spielszenen mit anderen
Spieler/innen an.
Eine Beobachterin spricht über ihre Wahrnehmung des Gesehenen...
Am Ende wird noch der Wirklichkeitsbezug
des Spiels besprochen:
Welche Schlussfolgerungen können aus dem Spiel für die
eigene Lebenspraxis gezogen werden?
2. Szenisches Spiel
Im Folgenden wird eine besondere Form des Rollenspiels dargestellt,
das verstärkt in der Schule Anwendung findet: das Szenische
Spiel/die Szenische Interpretation.
Das szenische Spiel zielt darauf ab, Lernenden wie Lehrenden zu
ermöglichen, mit allen Sinnen zu
lernen. Tragendes Element für die Konzeption ist der (literarische)
Text, ein oder mehrere Bilder oder ein Film, von dem her eine
meist sehr differenzierte Rollenspielsituation her konzipiert
wird.
So können die in literarischen Texten, Bildern und Filmen
entworfenen Ereignisse, Menschen und soziale Situationen im szenischen
Spiel zur Aneignungsmöglichkeit der darin verborgenen eigenen
Anteile werden:
Die persönliche Lebenspraxis wird zum Thema, dies nennt Scheller
Erfahrungsbezogener Unterricht. Ausgesuchte
und erprobte Spielverfahren und Übungen aus zahlreichen schauspiel-,
spiel- und theaterpädagogischen Ansätzen (z.B. Stanislawski,
Boal) machen diese ganzheitlichen Lernprozess möglich: z.B.
sind dies: Wahrnehmungsübungen,
Vorstellungsübungen,
Körper- und Bewegungsübungen,
Sprechübungen, Rollenschreiben,
Rollengespräch, Szenische
Improvisation und Demonstration, Standbilder, Statuen
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Standbild:
Clown der Klasse
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Statue zur
Assymmetrie zwischen Lehrerin
(oben)
und Schülerin
(unten)
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Diese Verfahren ermöglichen es, Lern- und Erkenntnisprozesse
zu initiieren, in denen nicht wie in konventionellen Lernverfahren
von der Lernsituation abstrahiert wird, sondern in denen Raum,
Zeit und Gegenstände ebenso mit ins Spiel einbezogen werden
wie die körperlichen, gestischen,
mimischen und sprachlichen Handlungen und Interaktionen der Lernenden.
Diese Ausdrucks- und Verhaltensweisen der Spieler/innen werden
bewusst aktiviert.
Zentrales Thema aller Spielprozesse ist die Frage danach, wie
die sozialen Erfahrungen und situativen Bedingungen Menschen dazu
bringen, ihre abgespaltenen, möglicherweise aufgezwungenen,
kontrollierten oder rationalisierten Gefühle, Phantasien
und Wünsche auf andere zu projezieren. Das szenische Spiel
ist wie die Erfahrung gezeigt hat, ein geeignetes Mittel, solche
Übertragungs- und Abwehrmechnismen bei einzelnen und in Gruppen
in konkreten Situationen zu untersuchen. So werden diese wieder
erlebbar und können in das eigene Selbstbild so integriert
werden, dass neue Sichtweisen und Verhaltensweisen zumindest möglich
werden.
Ein Beispiel aus dem Schulalltag: Studierende, Referendar/innen
und Lehrer/innen reagieren zu Beginn ihrer Laufbahn auf emotionale,
unsachliche sprachliche Äußerungen von Kindern und
Jugendlichen mit Angst und Hilflosigkeit. Dies, so Scheller, geschieht
auch, weil sie durch das Verhalten der Schüler/innen an eigene
Gefühle und Wünsche erinnert werden, die sie nicht (mehr)
wahrnehmen dürfen und die sie verdrängt haben.
Wenn es ihnen in Unterrichtssituationen nicht gelingt, mit den
Schüler/innen Regeln und Rituale auszuhandeln, um das Miteinanderumgehen
erträglich zu machen, reagieren Lehrer/innen oftmals mit
Sanktionen und Unterrichtsformen wie z.B. Frontalunterricht, die
sie eigentlich ihren pädagogischen Ansprüchen nach ablehnen,
deren Verwendung aber durch die Institution legitimiert sind.
Durch die Rekonstruktion von konflikthaften Unterrichtssituationen
können mit dem szenischen Spiel Projektions- und Abwehrprozesse
untersucht werden, mit denen Lehrer/innen und Lernende selbst
zur Entstehung und Aufrechterhaltung solcher Situationen beitragen.
Für die Schule und Universität sind
folgende Erfahrungen mit dem Szenischen Spiel bedeutsam:
- Mithilfe der szenischen Interpretation von literarischen Texten
können die szenischen Vorstellungen der Schüler/innen
so dargestellt werden, dass neben den sprachlich entworfenen
und interpretierten Ereignisse, Situationen und Haltungen, auch
innere und äußere Haltungen der Schüler/innen
bzw. Student/innen sichtbar und bewusst werden.
- "Bei der szenischen Auseinandersetzung mit dem Thema
Schule können Lehrer vorübergehend zu Lernenden werden,
die ihre eigene Situation und die der Schülerinnen kritisch
hinterfragen. Deshalb bietet sich das szenische Spiel auch für
Supervisionen an." (Scheller
1998: S.197)
- Die speziell von Hauptschüler/innen verwendete situationsbezogene
gestische Kommunikationsweise kann in den Lernprozess miteinbezogen
werden So können sie sich im szenischen Spiel auch komplexe
Lernfelder wie z.B. den Alltag im Mittelalter erschließen.
- Themen wie der Umgang mit rechtsradikalen, gewalttätigen
Jugendlichen oder Menschen aus anderen Kulturen sind mit dem
szenischen Spiel erforscht und publiziert worden.
2.6 Praktische Kommunikationsregeln in
der Schule
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2.8
Das pädagogische Konzept von RUTH COHN
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