2 Kommunikative Praxis in der Schule und praktische Rhetorik

2.7 Rollenspiel und szenisches Spiel










1. Rollenspiel

Das Rollenspiel ist in der Schulpraxis eine Übungsform der sanktionsfreien Rollenübernahme, um gesellschaftliche Rollen kennenzulernen und einzuüben.

Im Folgenden wird das pädagogische Rollenspiel in seiner Realisierungspraxis im Unterricht betrachtet.

 

Eine gespielte Unterrichtssituation in der Schule

Josef Broich, Autor eines bekannten Buches zum Rollenspiel, definiert es so:


"Das Rollenspiel ist ein handlungsorientiertes Spielverfahren. Das Verhalten der Teilnehmer ist im Rollenspiel von Rollen geprägt, die erfahren, gewechselt und geändert werden. Diese Spielerfahrung schafft für den Rollenhandelnden die Vorraussetzung einer Rollendistanz, mit deren Hilfe die Rollen in der Lebenswirklichkeit unterschiedlich gestaltbar sind.
Die Rollenspielpraxis richtet sich nach den Interessen der Mitspieler. Als Grundvorraus-setzung aller unterschiedlicher Rollenspielverfahren gilt das spielerische Erleben in Als-ob-Situationen, wobei das Spielen und nicht ein Zurschaustellen im Vordergrund steht.
Die Erfahrung verschiedener Wirklichkeiten im Rollenspiel, eine veränderbare Eigen- und Fremdwahrnehmung und die Möglichkeit zum Ausprobieren eigener Verhaltensvor-stellungen bieten sich zu einer Erfahrungsübertragung in die eigene Wirklichkeit an. Erfahrungsgemäß ist dabei bereits vieler erreicht, wenn das Spielen mit Rollen zu einer Verhaltenssicherheit außerhalb der Spielsituation nachhaltig beiträgt und sich dabei Ansätze einer Kooperationsfähigkeit festigen."(Broich 1999: S. 9)

Rollenübernahme und Rollenspielpraxis

Ursprünglich wurden Rollen im Theater von Schauspieler/innen gespielt. Die Darsteller/innen verkörpern dabei die Rollen, die sie vortragen. Dabei vertauschen sie die eigene Wirklichkeit mit der Wirklichkeit der gespielten Rolle.
Dadurch, dass jeder Mensch während seiner Entwicklung ein bestimmtes Programm von Verhaltensmustern erwirbt, besitzt er auch die Fähigkeit, verschiedenen Rollen anzunehmen und diese Rollen zu wechseln. Bestimmte Erwartungen sind an alle Rollen bezüglich des Verhaltensmusters geknüpft. In der Rolle drücken sich also die Erwartungen Dritter und gesellschaftliche Normen aus, die auf uns eingewirkt haben und täglich weiter einwirken.

Rollenspiele werden von Spielleiter/innen, oft Lehrer/innen, angeleitet und können je nach Kontext spontan und frei oder vorbereitet nach Anweisungen und Textvorlagen (Rollenkarten) erfolgen. Es können eigene Problemsituationen oder fremde fiktive Rollen, z.B die einer literarischen Figur gespielt werden.

Die Ziele des Rollenspiels sind nach Broich in zwei Vorstellungen zu suchen:

Zum einen bietet das Rollenspiel die Möglichkeit zur Verbesserung der eigenen Handlungsfähigkeit und zum anderen gibt das Rollenspiel die Trainingsmöglichkeit bestimmter sozialer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Zur Realisierung sozialer Sítuationen auch im Spiel sind Kompetenzen notwendig, die sich unter den beiden Begriffen soziale Kompetenz und kommunikative Kompetenz zusammenfassen lassen. Vor allen die soziale Kompetenz dient beim Rollenverhalten dazu, Rollen flexibel zu gestalten. Die kommunikative Kompetenz ermöglicht die mimische und sprachliche Fähigkeit zum Umgang mit Lebenssituationen.


Die neun Ziele des Rollenspiels sind: Antizipation,Empathie, Entscheidungsfähigkeit, Kommunikationskompetenz, Kreativität, Selbstbestimmung, Situationsbewusstsein, Kooperation.

Pädagogische Rollenspiel dienen einer selbstgesteuerten Erfahrungsbildung und gewährleisten eine vertiefte kognitive Annäherung an literarische Werke. Auch machen sie lern-und erfahrungsintensive, ermutigende Lernprozesse möglich.

Einsatz des Rollenspiels und der Spielphasen

In den folgenden Kontexten wird das Rollenspiel als Methode eingesetzt:

in der Schule bei Szenischem Spiel, Szenischer Interpretation und darstellendem Spiel, in Kommunikations- und Konflikttrainings auch außerhalb der Schule, in Zukunftswerkstätten und Planspielen, in betrieblichen Assessment Centern zur Personalauswahl und in der Therapie in dem von Moreno entwickelten Psychodrama
.

Bei der Hinführung und dem Einsatz des Rollenspiels lassen sich nach Broich aufeinander aufbauende Spielphasen unterscheiden:

  • Die Hinführung zur Spielfähigkeit ist nötig, da durch ungewohnte öffentliche Gruppensituationen eine Spielhemmung auftreten kann. Deshalb ist die Vorraussetzung für das Gelingen, dass vor jedem Rollenspieleinsatz eine möglichst hohe Gruppensicherheit der Spieler/innen mit einer gemeinsamen Zielsetzung geschaffen wird. Ein Mittel zur Rollenspielbefähigung sind nonverbale und verbale Interaktionsübungen.

  • In der Motivationsphase wärmt sich die Spielgruppe auf, es werden Vorinformationen zu der zu spielenden Szene, zum Spielinhalt, zum Spielverlauf, zur Rollenbesetzung und zu den Beobachtungsschwerpunkten gegeben.
    Auch wird die Rollenübernahme mit den Mitspieler/innen und Beobachter/innen geklärt, die Regelung zum Rollentausch wird besprochen. In der Spielpraxis sind die Stufen der Motivationsphase nicht immer einhaltbar, da die Spielvorbereitung im Vergleich zum Spiel selbst als sekundär angesehen wird. In diesem Fall sollte die Interaktionsphase vorher stärker berücksichtigt werden.

  • Die nächste Phase beinhaltet das Spielbarmachen der Spielsituation, indem der Szenenaufbau und der Spielinhalt geplant wird: Wer, warum, wo, wie, wann, was - mit den Bedingungen des realen Umfeldes. Auch werden die konkreten Beobachtungskriterien der Zuschauer/innen vereinbart, wobei auf den Wirklichkeitsbezug des Spiels bei den Verhaltensweisen, den Kommunikationsformen und den Problemlösungsstrategien der Spieler/innen geachtet werden muss. Diese Kriterien gehen von einem idealen Spielaufbau aus.


  • Bei der Spielphase wird die Spielzeit eines spontanen und freien Rollenspiels auf höchstens 10 Minuten begrenzt. Bei einer längeren Spielzeit wird die Spielunlust der Mitspieler/innen erhöht und schränkt die Beobachtungsfähigkeit der Zuschauer/innen im Spielablauf erheblich ein.

Situation auf dem Schulhof:
die Lehrerin kümmert sich um ein weinendes Kind, eine Kollegin kommt dazu

 

Zur Spielnachbereitung zählt vor allem die Spieler/innen und Beobachter/innenbefragung mit der Diskussion über den Spielverlauf nach vorher vereinbarten Kriterien. Hieran schließt sich im Idealfall ein Neu- und Andersspielen als Spielrevision einzelner Spielszenen mit anderen Spieler/innen an.

 



Eine Beobachterin spricht über ihre Wahrnehmung des Gesehenen...



Am Ende wird noch der Wirklichkeitsbezug des Spiels besprochen:
Welche Schlussfolgerungen können aus dem Spiel für die eigene Lebenspraxis gezogen werden?


2. Szenisches Spiel

Im Folgenden wird eine besondere Form des Rollenspiels dargestellt, das verstärkt in der Schule Anwendung findet: das Szenische Spiel/die Szenische Interpretation.

Das szenische Spiel zielt darauf ab, Lernenden wie Lehrenden zu ermöglichen, mit allen Sinnen zu lernen. Tragendes Element für die Konzeption ist der (literarische) Text, ein oder mehrere Bilder oder ein Film, von dem her eine meist sehr differenzierte Rollenspielsituation her konzipiert wird.

So können die in literarischen Texten, Bildern und Filmen entworfenen Ereignisse, Menschen und soziale Situationen im szenischen Spiel zur Aneignungsmöglichkeit der darin verborgenen eigenen Anteile werden:
Die persönliche Lebenspraxis wird zum Thema, dies nennt Scheller Erfahrungsbezogener Unterricht. Ausgesuchte und erprobte Spielverfahren und Übungen aus zahlreichen schauspiel-, spiel- und theaterpädagogischen Ansätzen (z.B. Stanislawski, Boal) machen diese ganzheitlichen Lernprozess möglich: z.B. sind dies: Wahrnehmungsübungen, Vorstellungsübungen, Körper- und Bewegungsübungen, Sprechübungen, Rollenschreiben, Rollengespräch, Szenische Improvisation und Demonstration, Standbilder, Statuen

 

 

Diese Verfahren ermöglichen es, Lern- und Erkenntnisprozesse zu initiieren, in denen nicht wie in konventionellen Lernverfahren von der Lernsituation abstrahiert wird, sondern in denen Raum, Zeit und Gegenstände ebenso mit ins Spiel einbezogen werden wie die körperlichen, gestischen, mimischen und sprachlichen Handlungen und Interaktionen der Lernenden. Diese Ausdrucks- und Verhaltensweisen der Spieler/innen werden bewusst aktiviert.

Zentrales Thema aller Spielprozesse ist die Frage danach, wie die sozialen Erfahrungen und situativen Bedingungen Menschen dazu bringen, ihre abgespaltenen, möglicherweise aufgezwungenen, kontrollierten oder rationalisierten Gefühle, Phantasien und Wünsche auf andere zu projezieren. Das szenische Spiel ist wie die Erfahrung gezeigt hat, ein geeignetes Mittel, solche Übertragungs- und Abwehrmechnismen bei einzelnen und in Gruppen in konkreten Situationen zu untersuchen. So werden diese wieder erlebbar und können in das eigene Selbstbild so integriert werden, dass neue Sichtweisen und Verhaltensweisen zumindest möglich werden.

Ein Beispiel aus dem Schulalltag: Studierende, Referendar/innen und Lehrer/innen reagieren zu Beginn ihrer Laufbahn auf emotionale, unsachliche sprachliche Äußerungen von Kindern und Jugendlichen mit Angst und Hilflosigkeit. Dies, so Scheller, geschieht auch, weil sie durch das Verhalten der Schüler/innen an eigene Gefühle und Wünsche erinnert werden, die sie nicht (mehr) wahrnehmen dürfen und die sie verdrängt haben.
Wenn es ihnen in Unterrichtssituationen nicht gelingt, mit den Schüler/innen Regeln und Rituale auszuhandeln, um das Miteinanderumgehen erträglich zu machen, reagieren Lehrer/innen oftmals mit Sanktionen und Unterrichtsformen wie z.B. Frontalunterricht, die sie eigentlich ihren pädagogischen Ansprüchen nach ablehnen, deren Verwendung aber durch die Institution legitimiert sind.

Durch die Rekonstruktion von konflikthaften Unterrichtssituationen können mit dem szenischen Spiel Projektions- und Abwehrprozesse untersucht werden, mit denen Lehrer/innen und Lernende selbst zur Entstehung und Aufrechterhaltung solcher Situationen beitragen.

Für die Schule und Universität sind folgende Erfahrungen mit dem Szenischen Spiel bedeutsam:
  • Mithilfe der szenischen Interpretation von literarischen Texten können die szenischen Vorstellungen der Schüler/innen so dargestellt werden, dass neben den sprachlich entworfenen und interpretierten Ereignisse, Situationen und Haltungen, auch innere und äußere Haltungen der Schüler/innen bzw. Student/innen sichtbar und bewusst werden.

  • "Bei der szenischen Auseinandersetzung mit dem Thema Schule können Lehrer vorübergehend zu Lernenden werden, die ihre eigene Situation und die der Schülerinnen kritisch hinterfragen. Deshalb bietet sich das szenische Spiel auch für Supervisionen an." (Scheller 1998: S.197)

  • Die speziell von Hauptschüler/innen verwendete situationsbezogene gestische Kommunikationsweise kann in den Lernprozess miteinbezogen werden So können sie sich im szenischen Spiel auch komplexe Lernfelder wie z.B. den Alltag im Mittelalter erschließen.

  • Themen wie der Umgang mit rechtsradikalen, gewalttätigen Jugendlichen oder Menschen aus anderen Kulturen sind mit dem szenischen Spiel erforscht und publiziert worden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 





 

 

 

 

 

 

 

 



Interaktionsübung
Rollenspiel


 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 





Beispiel Rollenspiel: Klärungsgespräch
mit zwei Schülerinnen







 

 

 

 

 

 

 

 

 




 

 

 

 

 




 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Beispiel:
Szenische Rekonstruktion konflikthafter Unterrichtssituationen

 

 

 

 

 

 

 

 



Literatur