2 Kommunikative Praxis in der Schule und praktische Rhetorik

2.3 Neue Formen der Unterrichtsorganisation










Mit der neuen Sensibilität für kommunikative Vorgänge im Unterricht verbinden sich auch grundlegende Veränderungen in der Unterrichtsorganisation.

Diese betreffen:

  1. die verbesserte Organisation in der Klasse (veränderte Formen des Unterrichts-gesprächs, andere Sitzordnungen),
  2. die Einführung neuer Arbeitsformen in den Unterricht (z.B. offener Unterricht, Wochenplanarbeit u.ä.)
    Beispiele

1. Unterrichtsorganisation und Sitzordnung

Karl Schuster macht in seinem Aufsatz "Mündlicher Sprachgebrauch" , folgende Bemerkungen zur veränderten Unterrichtsorganisation:

Auflösung der Kolonnensitzordnung zugunsten von Tischgruppen.

"Die Kommunikation in der Gruppe wird erleichtert; Arbeitsaufträge können ohne größeren organisatorischen Aufwand schneller erledigt werden. Glöckel wägt die Vor- und Nachteile einer solchen Anordnung gegeneinander ab. "Gruppentische verstärken den Binnenkontakt der Gruppe, schwächen aber den Außenkontakt und zerteilen daher die Klasse mehr oder weniger deutlich.
Oft ist ein Teil der Arbeitsplätze schlecht beleuchtet, was durch dauernd eingeschaltetes Kunstlicht nicht ausgeglichen werden kann. Ein Teil der Kinder muss sich beim Abschreiben von der Tafel umdrehen und zeigt eine entsprechend schlechte Körperhaltung." (Glöckel 1990: S. 86).
Diese Sitzordnung sei die einzig richtige für den Gruppenunterricht. Für den Frontalunterricht sei sie von Nachteil, weil die Kinder vom Lehrer und der Sache ab- und aufeinander hingelenkt werden, es sei denn, der Lehrer bestehe fest auf der Anweisung: "Dreht euere Stühle jetzt so, dass ihr mich gerade anschaut und die Lehne im Rücken habt."
In diesem Zusammenhang müssen auch die verschiedenen Sozialformen erwählt werden, die jeweils mit entsprechenden Intentionen eingesetzt werden:
Großklasse, Partner- und Gruppenarbeit, Einzelarbeit.


Zeitweiliges Abgeben des Aufrufrechts durch den Lehrer an die Schüler.

Durch dieses Abgeben wird vermieden, dass der Lehrer auch bei der Kommunikation der Schüler untereinander zur zentralen Vermittlungsinstanz wird. Dies bietet sich vor allem bei offenen Unterrichtsprozessen an. Damit dominante Schüler nun nicht wiederum nur ihre Freunde aufrufen, sind verschiedene Varianten möglich, um den Gesprächsverlauf doch etwas zu steuern:

  1. Es muss abgewechselt werden zwischen Jungen und Mädchen.
  2. Die Reihenfolge der Meldungen muss beachtet werden. Häufig ist dabei ein Protokollant notwendig.

Gesprächskreis

Die verschiedenen Möglichkeiten der Gesprächsinteraktion sind besonders wichtig beim Gesprächskreis, der gebildet werden sollte, wenn in der Klasse erzählt werden soll. In der Grundschule gibt es den sogenannte "Morgenkreis", zu Beginn der Woche der "Montagskreis" oder am Ende der Schulwoche den "Freitagskreis"....". Wichtig ist dabei, dass die Schüler eine gewisse Übung gewinnen, möglichst schnell und geordnet im Kreis Platz zu nehmen, damit der Wechsel zu einem selbstverständlichen Ritual werden kann. Der Gesprächskreis ermöglicht eine gewisse Intimität; es sollte darauf geachtet werden, dass jeder jeden ohne hinderliche Barriere anschauen kann und niemand in der zweiten Reihe sitzt. Dabei ist es selbstverständlich, dass der Lehrer nicht mehr die dominante Position einnimmt und er z. B. allein aufruft; er sitzt zwischen den Schülern, und meist ergibt sich eine zwanglose Gesprächsfolge. In Grundschulklassen konnte ich beobachten, wie schnell solch ein Wechsel vollzogen werden kann, wenn die Schüler daran gewöhnt sind. Voraussetzung ist natürlich, dass genügend Raum (meist im hinteren Bereich des Klassenzimmers) zur Verfügung steht. Leider schrumpfen mit den steigenden Schülerzahlen in den westlichen Bundesländern die Bewegungsräume immer mehr auf ein Minimum. (Vgl. Potthoff 1995)

Rituale

Rituale wie z.B. der Morgenkreis sind für den mündlichen Sprachgebrauch sehr wichtig, da sie den Unterricht strukturieren, ihn dadurch entlasten und die Konzentration auf die Lernaufgabe ermöglichen. Je nach Intention sollten selbstverständlich auch andere Sitzanordnungen ermöglicht werden. Für Diskussionen z.B. ist die Hufeisenform am besten geeignet, da jeder jeden anblicken und ansprechen kann und gleichzeitig durch die Tischbarriere eine gewisse Distanz gewahrt bleibt. Dies gilt mit kleinen Abweichungen auch für die Podiumsdiskussion. Man sollte niemals die strukturierenden Folgen, die von äußeren Rahmenbedingungen abhängen, unterschätzen. "

Soweit das Zitat aus Schuster.


Wir sehen, wie sehr die Unterrichtsorganisation die Art der Kommunikation und die Art der Bearbeitung derselben Unterrichtsgegenstände bestimmt, ja, sie ist der Anfang allen Positiv-Miteinander-Umgehens. Und deshalb wurde sie hier als erste genannt.
Man bemerkt sicher auch, dass die Verstärkung des Blickkontakts der Schüler/innen untereinander und die Herstellung "gleicher Augenhöhe" in der Kommunikation ganz wesentliche Elemente sind.
Es geht natürlich nicht darum, nur diese Art von Unterrichtsorganisation zu empfehlen, das ist gar nicht möglich, es geht aber wohl darum, so viel wie möglich von diesem Unterricht zu empfehlen.
Mittlerweile sind, besonders in der Grundschule und davon "aufsteigend", noch weitere gravierende Veränderungen in der Unterrichtsorganisation vorgenommen worden.

2. Einführung neuer Arbeitsformen in den Unterricht

Ein flexibler und situationsadäquater Einsatz von unterschiedlichen Arbeitsformen und der Methodenwechsel führt, dies zeigen viele Studien, zu einem größeren Lernerfolg und verhindert die Unaufmerksamkeit der Schüler/innen oder Unterrichtsstörungen.

Dazu gehört u.a. die Einführung von offenen Unterrichtsphasen und Wochenplanarbeit und die damit verbundene weitgehende Individualisierung des Unterrichts. Die Schüler/innen bestimmen selbst, wann sie welche Aufgaben mit wem erledigen, die Lehrkraft ist Lernbegleiterin und Beraterin.
Natürlich gibt es dennoch gemeinsame "Sozialphasen" und diese werden als solche von den Schüler/innen dann auch geschätzt und "geliebt".

Wir alle haben verschiedene Lernkanäle, die alle angesprochen und genutzt werden sollen. Dies geschieht durch die Aktivierung der Fähigkeiten zum Sehen, Lesen, Schreiben, Handeln, Spielen, Zeichnen und Zufassen.

Konkret für den Unterricht umfasst dies (neben dem traditionellen "Frontalunterricht") Arbeitsformen wie

  • Partnerarbeit,
  • Arbeit in Dreiergruppen,
  • Schülervortrag,
  • situatives Spiel,
  • Projektbearbeitung,
  • Beteiligung der Schülerinnen und Schüler bei der Auswahl von Unterrichtsthemen,
  • selbständige Arbeit nach Arbeitsplan (Arbeiten mit dem Wochenarbeitsplan),
  • Werkstattunterricht,
  • die Nutzung von themenbezogenen Informationsquellen (Nachschlagewerke, Bibliotheken, Zeitungen, Internet),
  • Auswahl von Aufgaben von Aufgabentischen,
  • Selbständige Arbeit mit Büchern, Zeitschriften und Zeitungen,
  • Arbeit mit Bildern (Postern, Comics etc.),
  • Einsatz von audiovisuellen Medien und Computern.


Auch so etwas wie Gudrun Spittas Schreibkonferenzen (Mehrere Kinder arbeiten gemeinsam Texte um) oder der Einsatz von Helferkindern in der Klasse (bessere Schüler/innen helfen schwächeren), die Einbeziehung von Eltern als pädagogische Assistenten u.a.m. gehören zu den neuen Arbeitsformen.


Lehrer/innenrolle

Bei diesem Wechsel der Arbeitsformen ändert sich zunehmend auch die Rolle des Lehrers: Er wird mehr zum Moderator des Unterrichts, als dass er diesen mehr oder weniger als "Alleinunterhalter" allein bestimmt.

Deshalb ist es wichtig,

  • Möglichkeiten zu schaffen, die Schüler/innen zum selbständigen Lesen/Sprechen, Vortragen, Üben anzuregen,
  • Materialien zu Verfügung und Aufgaben zu stellen, die von den Schüler/innen in Partner- oder Gruppenarbeit bewältigen können,
  • sich bei Interventionen möglichst zurückzuhalten, denn es gilt das Prinzip:
    Nur was man selber tut und lernt, bleibt auch haften!
  • allzu lange "Vorträge" zu vermeiden,
  • die Einübung des "Methodenlernens" gegenüber der reinen Wissensvermittlung zu fördern.


3. Beispiele

Lernen an Stationen

Das Arbeiten an Stationen ist eine Form des selbsttätigen und differenzierenden Unterrichts.
Zu einem bestimmten Thema werden im Klassenzimmer geordnet verteilt verschiedene Lernstationen aufgebaut, durch die die Thematik über verschiedene Lernzugänge erarbeitet oder vertieft werden soll. Dabei werden möglichst viele Sinne berücksichtigt.
Die Stationen sind so eingerichtet, dass an ihnen ohne Lehreranleitung selbständig gearbeitet werden kann. Das Arbeitstempo bestimmt jeder Schüler selbst, da die Zeit der Bearbeitung pro Aufgabe nicht festgelegt ist. Der Vorteil dieser Arbeitsform ist deshalb u.a., dass der Gleichtakt des Kindes mit seinen Mitschülern und der sonst häufige Zeitdruck stark reduziert werden kann.

Projektarbeit Ausgangspunkte für Projekte sind in der Regel situative Anlässe und konkrete Aufgabenstellungen aus der Lebenswirklichkeit der Kinder. Zielsetzung ist dabei die von Lehrer/innen und Schüler/innen gemeinsame und konkrete Bearbeitung der Thematik. Dabei werden problemorientierte und fächerübergreifende Lern- und Arbeitsprozesse bevorzugt.
Häufig werden auch außerschulische Fachleute in die Erarbeitung mit einbezogen. Im Mittelpunkt steht dabei das ganzheitliche, nicht in Fächer eingebundene Wahrnehmen und Erleben der Realität. Praktische Anwendungen und gefundene Problemlösungen werden praktisch erprobt, um so auch den individuellen Sinn und die soziale Bedeutung des Lernens zu erkennen.
Ein Projekt endet in der Regel mit einer kritischen Reflexion über den Projektverlauf und ein festliches Verabschieden durch eine Veröffentlichung, Ausstellung oder ein Fest.
Wochenplanarbeit

Der Wochenplan ist ein Konzept der Unterrichtsorganisation. Die Schüler/innen erhalten zu Beginn eines bestimmten Zeitraums (z.B. eine Woche) einen schriftlichen Plan, der Aufgaben verschiedenen Typs aus unterschiedlichen lnhaltsbereichen enthält.
In dafür vorgesehenen Unterrichtsstunden bearbeiten die Schüler/innen diesen Plan selbstständig und in der Regel in wechselnden Sozialformen (Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit). Nach der Bearbeitung einer Aufgabe, wird diese eigenständig kontrolliert und als erledigt im Plan eingetragen.
Der Wochenplanunterricht besteht somit in einer
Zusammenfassung der ansonsten über die Woche verteilten Kurzphasen von Still-, Partner- und Gruppenarbeit. Die Schüler/innen sollen dabei lernen, sich die Zeit selbstständig einzuteilen, um so einen umfangreichen Auftrag in eigener Regie sinnvoll zu bearbeiten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Video zur
Gruppenarbeit in einer Schulklasse (220 KB)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Video:
Partnerarbeit in einem universitären Seminar
(292 KB)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Video:
Projekt KidS
"Kreativität in der Schule" an einer Hauptschule in Berlin- Kreuzberg (728 KB)

 

 

 

 

 

 



Literatur