2 Kommunikative Praxis in der Schule und praktische Rhetorik

2.10 Kommunikationstraining von KLIPPERT










 

"Solange sich Lehrer und Schüler ganz vorrangig auf die Inhalte kaprizieren, so lange werden Kommunikationsfragen kaum wahrgenommen, geschweige denn thematisiert. Gesprochen wird zumeist zum Lehrer hin, denn dort spielt die Musik." (Heinz Klippert 1995: S.13)

 

Das vorstehende Zitat zeigt: Klippert geht aus von einer negativen Analyse der Kommunikation im Schulalltags, der die selbständigen kommunikativen Fähigkeiten der Schüler/innen eher hemmt als fördert. Der gewöhnliche Unterricht sei einseitig rezeptiv orientiert, durch den Druck der Lehrpläne überwiegend stofflich ausgerichtet und schaffe überwiegend asymmetrische Lernsituationen (Frontalunterricht).
Dies belegt Klippert durch die Einfügung alarmierender Schülerbefragungsergebnisse in den Bereichen Freies Reden, Vortrag, Diskussion, Gruppenarbeit etc.
Fazit dieser Befragungen ist, dass unsere Schüler/innen nur unzureichend in der Lage sind, sich in konkreten Kommunikationssituationen angemessen sprachlich zu artikulieren.

Der Ansatz von Heinz Klippert ist deshalb, wie auch unser Programm, auf die Schaffung einer neuen Kommunikations- und Lernkultur ausgerichtet. Dabei sollen vor allem bestimmte Schlüsselqualifikationen entwickelt und gefördert werden, die besonders für die spätere berufliche Praxis von zentraler Bedeutung sind:

  • Methodenkompetenz,
  • Kommunikationsfähigkeit im weitesten Sinn,
  • Steigerung von Teamfähigkeit, Lernmotivation, Selbstwertgefühl und Leistungsfähigkeit.


In Klipperts Konzept geht es auch um die Überwindung von isolierten Lernzielen und abstrakten Inhalten und positiv gesagt um die Entwicklung kommunikativer und sozialer Kompetenz.

Die angestrebte neue Lernkultur trägt nicht zuletzt dazu bei, dass die Schule ihre sozial-integrative Funktion wirksamer als bisher üblich erfüllen kann. Denn in dem Maße, wie die Schüler/innen zu mehr Selbständigkeit, Methodenkompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Lernmotivation und Lernerfolg hingeführt werden, wachsen auch ihr Selbstwertgefühl, ihre Leistungsfähigkeit und ihre soziale Kompetenz im wahrsten Sinne des Wortes.

DIE THEORIE:
WARUM KOMMUNIKATIONSTRAINING IN DER SCHULE?

Wir erinnern uns an Watzlawicks Axiom 1 man könne nicht nicht kommunizieren.

Dies beinhaltet natürlich nicht, dass man in verschiedenen Kontexten nicht auch optimal oder wenigstens zureichend kommunizieren kann. Und dies gilt auch für die Schule. Aber es gibt eben Einschränkungen und auch in vielen Klassen das Phänomen, dass manche Schüler/innen die Kommunikation verweigern und damit Kommunikationsverweigerung kommunizieren.

Klippert geht gestützt von empirischen Ergebnissen davon aus, dass die kommunikative Kompetenz der Schüler/innen weniger angeboren, als durch viele verschiedene Faktoren und Sozialisationsbedingungen (u.a. der Schule) determiniert sei. Alles spreche dafür,
"dass das Gros der Schüler auf ‚naturwüchsige Weise' zu keiner tragfähigen Kommunikationskompetenz gelangt." (Heinz Klippert 1995: S. 13.)

Dies heißt aber auch, dass die Kommunikationskompetenz durch geeignete Angebote und Methoden innerhalb des schulischen Zusammenhangs verändert, verbessert, optimiert werden kann. Dafür die Bedingungen zu schaffen und Instrumentarien zur Verbesserung zu entwickeln, darum geht es in Klipperts Kommunikationstraining. Dies soll, so eine weitere Voraussetzung, nicht primär durch eine tiefergehende ‚Persönlichkeits-veränderung' geschehen, sondern pragmatisch durch die Vermittlung elementarer "Techniken" und Regelbeherrschung, also um Know-How!

Von daher geht es Klippert um die Etablierung des Bildungsziels Gesprächskompetenz gegen die einseitige Orientierung auf Faktenwissen und Lehrervortrag. Auch für die Pädagog/innen ist, so Klippert, die Erreichung dieses Ziels im eigenen Interesse, denn nun müssen sie nicht mehr den gesamten Unterricht‚ "bestimmen", sondern können vieles der Eigeninitiative der Schüler/innen überlassen.


Die Praxis:
Trainingsbausteine für den Unterricht

Nach der Theorie aber die Praxis, und die ist in Klipperts Konzeption das Entscheidende. Er entwirft (und erprobte mehrfach!) Trainingsbausteinen für den Unterricht. Sie bieten vielfältige Kommunikationsanlässe/-arrangements in fünf Übungsfeldern:

  1. Trainingsbaustein
    Propädeutische Übungen, die alltägliche Kommunikationsprobleme und -perspektiven reflektieren helfen.
    Hier gibt es Schülerbefragungen (Fragebogen), Übungen im sprachlichen Bereich (etwa Satzergänzungen, Durchführung von kleinen Gesprächsszenen in Gruppenarbeit), Assoziationsspiele (etwa durch die Präsentation von Karikaturen), das Erstellen von Wandzeitungen, Gesprächsprotokollen oder Video-Dokumentationen von zurückliegenden Unterrichtsstunden.

  2. Trainingsbaustein
    Übungen zur Förderung des freien Sprechens und Erzählens.

    Im Gegensatz zum ersten, eher allgemeinen Teil, geht es in diesem Trainingsbaustein vor allem auch um den fachspezifischen Einsatz von Übungen, die die häufig reduzierte sprachliche Ausdrucksfähigkeiten der Schüler/innen erweitern sollen. Es handelt sich hier um aus der praktischen Rhetorik und der Sprecherziehung bekannte Übungselemente.
    Dies bedeutet für Klippert auch, dass vor allem in kleineren Gruppen gearbeitet werden soll, da nur so eine Beteiligung vieler, zum Teil auch sprechgehemmter Schüler/innen möglich wird. Der Autor bietet wiederum eine Vielzahl von zum Teil originellen Übungen. Wir müssen uns hier auf ein Beispiel beschränken:
    Im "Montagskreis" etwa soll in lockerer Gesprächsrunde das Wochenende, sollen aber auch die Planungen und Erwartungen für die kommende Woche "durchgearbeitet" und durch sprachliche Formulierung zur Bewusstheit gebracht werden. Von Meditationsmusik untermalt werden kleine Tischgruppen gebildet, in denen sich alle Beteiligten möglichst angstfrei äußern können. Innerhalb diese Teiles gibt es auch Übungen zum Nacherzählen, werden Fantasiegeschichten ersonnen und Erzählimpulse gesetzt - aber auch Witze erzählt oder Personality Shows erprobt.

  3. Trainingsbaustein
    Miteinander reden - das kleine 1x1 der Gesprächsführung.
    Was im letzten Übungsteil spielerisch erprobt wurde, wird nun auch zu
    Gesprächsregeln systematisiert und vertieft.
    Ziele sind die Ausbildung der folgenden Fähigkeiten: den Anderen - vor allem den Mitschüler/die Mitschülerin- anzuhören (und auch anzusehen), auf Fragen und Argumente einzugehen, Andere zu Wort kommen zu lassen, Nebengespräche zu unterlassen und insgesamt vereinbarte Gesprächsregeln zu beachten und einzuhalten.
    Es werden auch Gesprächsanalysen und -protokolle erstellt und durch Karten Regelkataloge gebildet. Weiter werden Kettengeschichten erfunden, Partnerinterviews gemacht, Kreisgespräche veranstaltet, Bewerbungskarteien angelegt und Talkshows geprobt - dies wenn möglich immer mit einer Videokamera zur Kontrolle.

  4. Trainingsbaustein
    Überzeugend argumentieren und vortragen - rhetorische Übungen.

    Da wir innerhalb dieses Programms schon im nächsten Kapitel relativ ausführlich auf die praktische Rhetorik eingehen, wollen wir es hier kurz machen. Deutlich ist: Auch Klippert sieht die im weitesten Sinne "rhetorischen Kompetenzen" als zentrale Schlüsselqualifikation. In seinen Bausteinen finden sich sowohl Übungen zur Redeanalyse (Reden zum Golfkrieg), spielerische Argumentationsübungen, Formen der Gerichtsrede (Durchspielen einer Verhandlung) und verschiedener Vortragsarten.

  5. Trainingsbaustein
    Komplexere Kommunikations- und Interaktionsspiele

    Hier sollen die bisher erworbenen Kommunikationsfähigkeiten zusammenhängend zur Anwendung gebracht werden. Es werden also relativ komplexe Kommunikations- und Interaktionsszenarien entworfen und durchgespielt, die dem Einzelnen auch erlauben, die eigenen Kompetenzen kritisch zu hinterfragen. Dabei handelt es sich um Situationen, die aus dem alltäglichen Leben oder aus den Medien bekannt sind, verschiedenartige Rollenspiele, Pro-und-Kontra-Debatten, Theaterspielsequenzen, Planspiele, Hearings etc., die jeweils in Gruppenarbeit vorbereitet, realisiert und schließlich kritisch analysiert werden.

Bemerkungen zu Klipperts Konzept.

Klipperts Konzept ist vor allem von Vorgaben und Methoden der Sprecherziehung und der Rhetorik gekennzeichnet. Noch nicht oder nur wenig berücksichtigt sind Elementen aus der Kommunikationspsychologie, der Konfliktanalyse und Techniken der Präsentation und Konfliktbearbeitung wie Moderation und Mediation.

Deutlich geworden ist,
worum es Klippert neben der Gesprächskompetenzverbesserung vorrangig geht:

  • die Entwicklung von spielerischen Lernformen gegen die einseitige Kopflastigkeit des Unterrichts,
  • die Anregung der Selbsttätigkeit bei den Schülern,
  • die Konzentration auf kommunikative Schlüsselqualifikationen, die für die spätere Praxis wichtig sind,
  • die systematische Durcharbeit der im Unterricht thematisierten Gegenstände.

 

Noch eine Bemerkung zur Verbreitung der Bausteine Kommunikationstraining:

"Es klippert die Schule", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" in einem Artikel vom 26./27.5.2001, in dem sie sich mit dem Referat des bekannten Pädagogen an der Otto-Hahn-Realschule in Herford beschäftigte. Klippert ist in den letzten Jahren als Buchautor, Referent und Ausbilder sehr bekannt geworden. Er setzte mit einer scharfen Kritik am bestehenden Unterrichtsalltag ein, aber dabei blieb er nicht stehen. Er entwickelte eine Reihe von praktischen Vorschlägen und Konzepten, die inzwischen in der Ausbildung von Lehrern, aber auch im konkreten Unterricht vielfach verwendet werden.
Auch das hier behandelte Kommunikationstraining wurde von ihm mehrfach, vor allem in sogenannten Projektwochen mit Erfolg erprobt. Inzwischen gehört es in vielen Schulen zum "Lehrplan" des Kommunikationsunterrichts.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Vertiefung:
Methoden-Training von Klippert

 



Literatur