Wir haben es im Verlauf dieses
Lernprogramms schon auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen:
Konfliktfreie Räume gibt es nicht!
Überall dort, wo Menschen zusammenkommen und zusammenleben
- in Familien, am Arbeitsplatz, in Partnerschaften oder auch im
Sportverein - überall sind Konflikte angelegt, die von einfachen
Meinungsverschiedenheiten bis zum Mobbing oder offener Gewalt reichen
können.
Wir haben gleichzeitig gelernt, dass Konflikte nicht von vornherein
schlecht sind, dass es aber notwendig ist, ihre Ursachen und Verlaufsformen
zu erkennen, um zu einer konstruktiven Lösung zu gelangen.
Gerade die Schule bietet immer wieder und - wie zahlreiche Untersuchungen
belegen - in zunehmendem Maße Konfliktpotential.
In diesem Teil versuchen wir, dieses zu beschreiben, in seinen Gründen
zu
erkennen und auch Möglichkeiten aufzuzeigen und vorzuführen,
wie solche
Konflikte gelöst werden können.

Wo liegt nun das Konfliktpotential der Schule?
Natürlich ist das eine sehr schwierige Frage, da die Konflikte
innerhalb des Beziehungs- und Interaktionsgeflechts Schule oft
sehr komplex sind.
Hierzu können Sie ein Unterrichtsbeispiel
aus einem Sprachbuch für das siebte Schuljahr aufrufen, wo
über die vier Seiten einer Nachricht aus der Wahrnehmung
des Empfängers gearbeitet wird.
Konflikte, wie sie in diesem Sprachbuch beschrieben werden, kennen
wahrscheinlich alle, die jemals Schüler/in gewesen sind und/oder
in anderer Funktion mit dem System Schule zu tun hatten.
Um Schulkonfliktpotentiale erkennen zu können, müssen
wir auf einige der Erkenntnisse zur Kommunikation und zum Konflikt
zurückkommen, die wir in den vorangehenden Teilen des Programms
dargestellt haben. Wenn Sie wollen, können Sie leicht jederzeit
über das Anklicken des Titels zu diesen Teilen zurückkehren
und dort ausführlicher nachlesen.
Einige dieser Punkte nun in aller Kürze:
- Kommunikationssituationen sind jeweils von der Position der
Kommunikationspartner/innen bestimmt; sie können eher symmetrisch,
asymmetrisch oder auch komplementär sein.
(Eine ausführliche Bearbeitung
über die Position der Gesprächspartner/innen finden
Sie im Teil 1 des Programms unter "Die
fünf gesprächstherapeutischen Axiome" und "Das
ICH in Transaktion")
- Kommunikation hat, wir wissen es, immer einen Sach- und einen
Beziehungsaspekt. Diese einfache Feststellungen hat spezielle
Konsequenzen für diesen Teilaspekt.
(Vertiefung zu diesem Aspekt im
ersten Teil des Programms unter "
Die fünf gesprächstherapeutischen Axiome" und
"Die
vier Seiten einer Nachricht)
- Bestimmte vorherrschende Kommunikationsstile spielen eine
Rolle, also etwa: Wie konstruktiv gehen die Partner/innen miteinander
um, herrscht auf Seiten der Lehrer/innen ein eher kooperativer
oder eher autoritärer Erziehungsstil vor, ist bei den Schüler/innen
grundsätzlich eine Lernbereitschaft vorhanden oder hat
sich in der Klasse eine Atmosphäre herausgebildet, die
eher von einer direkten oder indirekten Widerstandshaltung geprägt
ist.
(Vertiefung unter
"Kommunikationsstile oder wie rede ich mit dem anderen")
- Wir haben zwischen "inneren" und "äußeren"
Konflikten unterschieden. In den meisten Fällen finden
wir natürlich beides verzahnt, so dass eine Trennung der
Konfliktart schwierig ist.
(Vertiefung in diesem Kapitel unter "Konflikttypen")
- Konflikte entwickeln sich innerhalb eines "Systems",
das wir bei der Analyse zunächst als mehr oder weniger
abgeschlossenes betrachten können. Wir tun also bei der
Analyse etwa so, als ob der Konflikt innerhalb einer Schulklasse
nur einer zwischen den unmittelbar Beteiligten sei. Analytisch
kann dies angebracht sein, aber wir sind uns darüber klar,
dass in Wirklichkeit auch zahlreiche andere, " äußere"
Komponenten einwirken, das, was man als "Rahmenbedingungen"
bezeichnet.
(siehe 1.Teil des Programms unter
"Es geht immer nach dem Kommunikationsmodell")

Nun wollen wir Ihnen zusammenfassend einige der Bereiche zeigen,
in denen sich vor allem das Schulkonfliktpotential
befindet. Wir unterscheiden hier verschiedene Konfliktebenen.
1. Die Rahmenbedingungen
Jeder, der an schulischen Prozessen beteiligt ist, weiß,
dass nicht allein Lehrer/innen, Schüler/innen, Schulleitung
oder Eltern bestimmen, was konkret im Unterricht oder auf der
Schulebene passiert, sondern auch - und nicht in geringem Maß
- von außen gesetzte Faktoren:
- Gesetze
- Rundbriefe und Erlasse der Ministerien und Schulbehörden,
- die gute oder mangelhafte Finanzierung,
- das verwendete Unterrichtsmaterial,
- die bauliche Ausstattung der Schule,
- die Lehrpläne und Prüfungsanforderungen,
- die Ausbildung und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer
an Universitäten, Hochschulen und Studienseminaren.
Eine schlechte Ausstattung führt
zur Einschränkung der Möglichkeiten pädagogischen
Handelns. Die oft einseitig auf bloße kognitive Leistungen
hin ausgerichteten Lehrpläne schränken die kreativen
Möglichkeiten von Schülern/innen und Lehrern/innen ein.
Durch die Kürzungen der staatlichen Geldmittel gibt es übergroße
Klassen.
Auf diese und andere Gegebenheiten haben die unmittelbar Beteiligten
keinen oder doch nur einen sehr begrenzten Einfluss. Es ist aber
klar, dass diese Faktoren schnell vielfältige Konflikte auslösen
können. Alles das bringt letztlich Frustrationen und Unzufriedenheit
hervor, und die wiederum schaffen Konflikte. Häufig werden
diese Konflikte auch verlagert: Nicht oder nicht vorrangig mit
der Behörde werden sie ausgetragen, sondern auf der Ebene
des Klassenverbandes oder der Schule.
Fühlen sich etwa Schüler/innen und Lehrer/innen durch
sehr hohe Klassenfrequenzen, durch schlechte Unterrichtsmaterialien
oder mangelnde Ausstattung in ihren Möglichkeiten eingeschränkt,
so neigen sie häufig dazu, interne Konflikte zu entwickeln,
die sich schnell ausweiten und eskalieren können.
Zu den "Rahmenbedingungen" gehören natürlich
auch veränderte Sozialisationsbedingungen: Die traditionelle
"Kernfamilie" ist heute oft nicht mehr vorhanden, die
Familienstrukturen haben sich insgesamt rapide verändert.
Auch spielen massenmediale Instanzen in der Entwicklung der Kinder
eine immer größere Rolle: der Fernsehkonsum, der Computer,
das Internet. Wie geht man mit diesen "heimlichen Erziehern"
um, sieht man sie hauptsächlich negativ und als Störfaktor
oder nimmt man auch Potentiale wahr, mit denen man auch in schulischen
Prozessen produktiv arbeiten kann?
In jedem Falle:
Aus allen diesen Umwelteinflüssen können sich Konflikte
entwickeln, deren eigentliche Ursache oft im Dunkeln bleibt und
die dann auch nicht mehr produktiv angegangen werden können.
Alle neueren pädagogischen und didaktischen Konzeptionen
betonen die Notwendigkeit eines kooperativen, auf die Selbsttätigkeit
und Selbstverantwortung der Schüler/innen gerichteten Unterrichtsstils.
Häufig ist dies aber - wie wir etwa an der Kritik von Klippert
feststellen konnten - Theorie. Das heißt, letztlich bleibt
das Verhältnis von Lehrern/innen und Schülern/innen
von einer autoritären, wenig kooperativen Haltung des Lehrkräfte
bestimmt.
Keineswegs muss dies Ausdruck von schlechtem Willen sein: Hier
spielen wiederum die Rahmenbedingungen eine Rolle, etwa die Überlastung
der Lehrer/innen durch eine zu hohe Schüler/innen- und Stundenzahl
oder die starke Beanspruchung durch Verwaltungs-aufgaben, aber
möglicherweise auch eine zu einseitige Ausbildung.
Supervisionen, Fortbildungskurse und die eigene Initiative könnten
hier sicher helfen, neue, kreative Methoden anzuwenden, um den
Unterricht weniger langweilig und lehrerzentriert zu gestalten.
So könnten z.B. Projekttage und ähnliches durchgeführt
werden, um eine funktionsfähige Symmetrie herzustellen.
Andererseits: In gewisser Weise ist diese Asymmetrie zwischen
Schüler/innen und Lehrkräften auch eine der Voraussetzungen
und Bedingungen des öffentlichen Schulsystems. Denn: Natürlich
sind Schüler/innen und Lehrer/innen nicht nur sozusagen gleichberechtigte
Partner/innen innerhalb des Erziehungsprozesses, sie haben jeweils
eine andersartige Rolle, die durch die Funktionen innerhalb des
Systems determiniert wird.

2. Konflikte zwischen den Geschlechtern und verschiedenen ethnischen
Gruppen:
das Problem der Differenz
Nicht zuletzt gehört schwierige zwischengeschlechtliche
und interkulturelle Kommunikation zum typischen Schulkonfliktpotential:
Jungen und Mädchen bilden - besonders während der Pubertät
- gegnerische Gruppen, die mit den ihnen eigenen Gruppen versuchen,
die anderen auszustechen. Oder es entwickeln sich aus Verliebtheit
und geschlechtsspezifischen Äußerungsformen Konflikte
und Konkurrenzverhältnisse.

Für die heutige Situation vielleicht noch gravierender sind
die Interkulturellen Problemlagen das, was in den letzten Jahren
unter dem Schlagwort Multikulti' heiß diskutiert wird:
- Welches Verhältnis entwickelt sich zwischen Angehörigen
verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen?
- Wie sind die Phänomene der Ablehnung von Fremdgruppen,
überhaupt der Fremdenfeindlichkeit zu lösen?
Sicher ist eine Separation der verschiedenen Gruppen nicht die
Lösung, vielmehr die Kooperation und Integration. Aber besonders
an den sozialen Brennpunkten, in Großstädten mit einem
hohen Ausländeranteil, sind die Probleme virulent, und fast
jeden Tag lesen wir in der Zeitung von Übergriffen und Akten
der Gewalttätigkeit - auch in der Schule.
Soziale Problemfeldern sind ein weiterer Herd für gravierende
Konflikte: Familiäre Schwierigkeiten, Scheidungen, finanzielle
Probleme, Arbeitslosigkeit - all das strahlt in die Schule und
führt zu Konflikten. Lehrer/innen fühlen sich hierdurch
häufig überfordert. Zusätzlich zu ihren mannigfachen
Unterrichtsaufgaben sollen sie nun auch noch Probleme lösen,
für die sie nicht ausgebildet sind und die - wie viele glauben
- auch nicht in ihren Aufgabenbereich fallen.
Auch hier aber hilft das Ausblenden nicht: Die Konflikte werden
sich zeigen, und sie müssen angegangen werden, soll ein möglichst
konfliktarmes Lernen und Lehren möglich werden.
3. Das Problem der Asymmetrie und daraus
folgende "Teufelskreise"
Schüler/innen sollen etwas (und zwar möglichst viel)
lernen, das bedeutet Anstrengung und ist nicht immer nur lustvoll.
Die Lehrer/innen müssen darauf achten , dass Unterrichtsziele
erreicht werden, dass ein bestimmter Stoff vermittelt wird, dass
Prüfungsanforderungen zu schaffen sind, dass eine gewisse
Disziplin herrscht etc.
Von Gesetzes wegen, aber auch durch ihre pädagogische Aufgabenstellung,
sind die Lehrkräfte gehalten, Bewertungen vorzunehmen, die
wiederum natürlich Auswirkungen auf das Leben (und die Zukunft)
der Schüler/innen haben. Es herrscht also ein, mehr oder
minder starker, Leistungsdruck, der wiederum ein beträchtliches
Konfliktpotential darstellt:
Er kann die Atmosphäre innerhalb der Klasse negativ beeinflussen,
Widerstand der Schüler/innen hervorrufen, individuell zu
Krisen und Selbstzweifeln führen.
Und im Extremfall kann dies in einem Teufelskreis bis zur Blockade
führen:
Was die Lehrer/innen sagen, kommt nicht mehr an, die Lernergebnisse
sind gering, die Disziplinschwierigkeiten nehmen ein beängstigendes
Ausmaß an, die Fehlzeiten der Schüler/innen erhöhen
sich, die Lehrer/innen entwickeln einen Widerstand gegen ihren
Beruf, das gefürchtete Burn-out-Syndrom lähmt die Freude
am Beruf und führt in die Krankheit oder vorzeitigen Pensionierung.
4. Mangelnde Kooperation der Partner
Wir haben gesehen: Die verschiedenen, am schulischen Prozess
beteiligten Institutionen oder Personen haben zwar gemeinsame
Ziele (oder sollten sie doch haben), zugleich aber sehr verschiedene
Funktionen, die in ein Missverhältnis geraten können.
Vor allem dann, wenn es am Willen zu einer positiven Zusammenarbeit
mangelt. Dies kann leicht geschehen, Konflikte sind "vorprogrammiert":
- Lehrer/in und Schüler/innen entwickelt ein Freund-Feind-Verhältnis,
- Schulleitung und Lehrerkollegium befinden sich in Auseinandersetzungen
um Stundenverteilungen und Aufgabenstellungen, die von der Leitung
eher autoritär durchgesetzt werden,
- die Kooperation mit den Eltern funktioniert nur schlecht:
Eltern glauben, die Lehrer/innen setzten sich nicht genug ein
und behandelten ihre Kinder unfair,
- Lehrer/innen wehren sich gegen ständige Interventionen
bestimmter Eltern, die sich ständig beklagen.
Auch hier ist es zunächst einmal nötig, die verschiedenen
Positionen zu verbalisieren und in einem Diskussionsprozess
zu klären: Erst hierdurch können Missverständnisse
ausgeräumt und positive Veränderungen herbeigeführt
werden.
5. Das Problem der Disziplin
Natürlich ist dies eines der schwierigsten Konfliktfelder.
Eltern klagen über die Disziplinlosigkeit der Kinder, die
Lehrer/innen stehen oft hilflos vor einer renitenten, widerständigen
Klasse, die allen Bemühungen Widerstände entgegensetzt.
Konflikte zwischen einzelnen Schüler/innen oder Gruppen und
Cliquen eskalieren und stören die Unterrichtsarbeit massiv.
Dem entgegen zu steuern fällt schwer.
Auch für diesen Aspekt des Schulkonfliktpotentials ist es
notwendig, sowohl analytisch als praktisch Anstrengungen zu unternehmen:
- Wie können Unterrichtsmethoden so verbessert werden,
dass das Interesse der Schüler/innen nicht schnell erlahmt?
- Wann und inwieweit müssen Lehrer/innen auch mit ihrer
Autorität intervenieren und Grenzen setzen?
- Wie geht man mit manifesten oder latenten Konflikten um?
- Wann sind Einzelgespräche angebracht, wann eine Diskussion
innerhalb der gesamten Gruppe?
- In welchen Fällen ist es nötig, die Schulleitung
oder die Eltern einzuschalten?
- Was unternimmt man gegen Gewalt und Mobbing?
- Können Mediation oder Streitschlichterprogramm helfen,
wie werden diese organisiert?
Im folgenden Teil 4 unseres Programms versuchen wir, Möglichkeiten
des Umgangs mit Konflikten aufzuzeigen. In jedem Falle ist es
aber zunächst nötig, das bestehende Schulkonfliktpotential
und konkret eingetretene Konflikte differenziert zu analysieren
und jeweils zu klären, welche Faktoren und Einflüsse
die ausschlaggebenden sind.
3.8 Eskalation von
Konflikten 
4.1 Wer hat Recht? -Gewinner und Verlierer-
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