Analyse
einer Rede von Bill Clinton
Vorbereitung
Dass Medienauftritte vorbereitet werden sollten, wissen alle,
die schon einmal vor Mikrofon und Kamera auftreten mussten.
Bei Bill Clinton heißt es, dass er vor dem Videoverhör
und seiner Fernsehrede zur Nation wochenlang von verschiedensten
Spezialisten täglich - bis zu sechs Stunden lang - gecoacht
worden sei. Das Resultat macht deutlich, dass sich bei allen wichtigen
Auftritten eine Vorbereitung lohnt.
Der Ton, die Stimme, die Haltung, der Blickkontakt und die Kleidung
beeinflussen die Aussage und den Inhalt enorm. Angenommen, es
müsste eine Person lügen lernen, wäre der Aufwand
größer. Denn: Ehrlich zu kommunizieren ist viel einfacher,
weil alle Reaktionen, die unbewusst gesteuert werden, mit der
Aussage übereinstimmen und kein falsches Spiel antrainiert
werden muss. Die Kamera entlarvt in der Regel "Lügner".
Zu den verräterischen Signalen gehören der Wechsel der
Anzahl Lidschläge pro Minute, die Veränderung der Pupillen,
Hautverfärbungen, Schweißtropfen sowie der Wechsel
der Muskelspannung oder das Atemverhalten. Dies wird aber erst
bei Nahaufnahmen feststellbar. Dank der Kameraführung (Distanzverhalten)
glich der Auftritt von Clinton keinem "Röntgenakt",
so, wie es beispielsweise bei Nahaufnahmen in der "Rundschau"
beobachtet werden kann. Die Inszenierung wirkte natürlich
und echt.
Wenn einige rhetorische Aspekte gelobt werden, geht es nicht
darum, den Wahrheitsgehalt der Aussage zu beurteilen. Wer die
Rede durchliest, anhört und mehrmals auf Video betrachtet,
stellt fest: Die Rede ist dialogisch. Clinton spricht zum Volk
(Begrüßung und Schluss). Im Text werden jene Bereiche
erwähnt, die verstanden werden und das Volk interessieren).
Der Beitrag war adressatengerecht: Es dominiert eine Plausibilitätsargumentation.
Begriffe und Worte werden betont und wiederholt, wie einleuchten
und stets unangefochten bleiben; beispielsweise Verantwortung,
Familie,
Gott, Herausforderung und Chancen. Der Aufbau und die Struktur
sind gut durchdacht: erst eine Schilderung der Situation, eigene
positive Verhaltensweisen werden hervorgehoben, eigene Fehler
bagatellisiert - mit einem abgeschwächten Eingeständnis.
Die Argumentationsphase:
Warum muss das öffentliche Amt und Privates getrennt werden?
Dies scheint denn auch zur Kernaussage zu werden. Es folgt ein
Appell: Macht endlich einen Schlussstrich! Lasst mich in Ruhe
weiterarbeiten und regieren! Es müssen bedeutende Aufgaben
erledigt werden. (Damit interpretiert Clinton implizit: Das Aufdecken
einer Lüge ist unbedeutend.)
Ein Laie würde in einer ähnlichen Situation sein Hauptgewicht
auf die Verteidigung oder auf die Rechtfertigung verlegen. In
der Fernsehrede des Präsidenten dominieren jedoch die eigenen
positiven Verhaltensweisen: "Ich übernehme die Verantwortung"
- "Ich antwortete juristisch korrekt" "Ich habe
niemals jemanden aufgefordert, zu lügen, Beweise zu verstecken
oder zu zerstören oder anderweitig ungesetzlich zu handeln."
Die Rechtfertigungsphase meistert Clinton mit einer Begründungskette,
weshalb ungebührlich gehandelt wurde:
- Ich wollte mich selbst vor der Peinlichkeit meines Handelns
schützen.
- Ich wollte die Familie schützen.
- Ich hatte Bedenken wegen der Untersuchung, die sich mit 20
Jahre alten Privatgeschäften befasst (auch in dieser Begründung
wird das Private betont und gleichzeitig vermittelt: Wir reden
von einer alten Geschichte).
Eigene Fehler werden abgeschwächt oder
beschönigt: Euphemistisch (beschönigend) werden die
sexuellen Handlungen beschrieben: "Die Beziehung war ungebührlich"
- "Es war ein Einschätzungsfehler" - "Es war
ein persönliches Versagen, für das ich allein verantwortlich
bin (geht das Gericht nichts an)". Die "Lüge"
wird so umschrieben: "Meine öffentliche Äußerung
und mein Schweigen erweckten einen falschen Eindruck." Das
Eingeständnis wird anderseits bewusst nicht ausgeklammert.
Clinton gibt zu: "Ich habe Menschen getäuscht. Ich bedaure
dies zutiefst."
Die Rede ist gewiss nicht nur eine rhetorische Meisterleistung
hinsichtlich Aufbau, Argumentationstechnik und Wortwahl. Clinton
versteht es eindeutig, auch die Gefühle mit einzubeziehen
(Inhalt, Stimme, Haltung, Mimik, Gestik, Blick). Die Umfragen
bestätigen denn auch: Ob echt, ob gespielt, ob nur antrainiert
- die Rede bewirkte recht viel Positives für den Redner.
Clinton hat seine Chance genutzt. Die Kernaussage: "Trennt
doch Privates vorn öffentlichen Amt" wird bei Straßenumfragen
mehrfach wiederholt.
So gesehen, lohnten sich bestimmt die immensen Vorbereitungen.
Anderseits müssen wir uns einmal mehr fragen:
Kann (und darf) mit gekonnter Rhetorik wirklich alles erreicht
werden?
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