Sprichwörter
und Redensarten
Wir alle nehmen täglich an Kommunikationen teil. Diese sind
für uns sehr wichtig. Deshalb kann davon ausgegangen werden,
dass wir uns alle Vorstellungen dazu gemacht haben und auch ein Wissen
erworben haben, von dem wir ausgehen und welches wir, soweit es uns
bewusst ist, auch formulieren können.
Sprichwörter und Redensarten sind Zeugnisse des Wissens eines
Volkes über einen (Lebens-)Bereich. Sprichwörter und Redensarten
über kommunikative Zusammenhänge markieren das Wissen eines
Volkes über Kommunikation. Die Wissenschaft
von den Sprichwörtern und Redenarten allgemein nennen wir 'Phraseologie'.
Es ist bedauerlich, dass die Sprach- und Kommunikationswissenschaft
bisher kaum auf die Phraseologie der Kommunikation eingegangen ist:
Es läge doch nahe, bei einer ersten Bestandsaufnahme auf die
Vorstellungen der "Gemeinschaft der Kommunizierenden" einzugehen.
Das soll im Folgenden anhand eines Aufsatzes von W. Eichler in
der Zeitschrift "Deutschunterricht" aus dem Jahre 2000 geschehen.
"Die folgenden Sprichwörter und
Redensarten sind geordnet nach unmittelbar
plausiblen Kategorien, die zum Teil, wie wir sehen werden, auch
in den fachwissenschaftlichen Modellen eine Rolle spielen.
1.
Redensarten, Sprichwörter, die
sich mit dem Zustandekommen
von Kommunikation (mit dem jeweiligen Partner) beschäftigen. |
Was
die Menschen zum Verhalten mancher Leute bei dem Versuch, mit
ihnen zu kommunizieren sagen: |
- Aneinander vorbeireden
- Nichts zu sagen haben
- Jemandem verschlägt es die Sprache
- Eine andere Sprache sprechen
- Eine Fensterrede halten
- Nicht auf jemanden hören, weghören
- Die Ohren auf Durchgang stellen
- Hier rein - da raus, usw.
|
2.
Redensarten, Sprichwörter und
performative Verben, die auf kommunikative Normen, Rollen(verhalten)
und feste Sozialbeziehungen Bezug nehmen. |
Was
die Leute über "Rechte" und über" Rollen"
in der Kommunikation sagen: |
- Dem Volk aufs Maul schauen
- Aus der Rolle fallen
- Nichts zu sagen haben
- Die Gesprächsführung übernehmen
- Verhören, vernehmen, einbestellen
- Eine Stellungnahme einfordern
- Eine Erklärung abgeben
- Halt's Maul!
- Jemanden über den Mund fahren
- Jemandem dumm (daher)kommen
- Wes Brot ich ess, des Lied ich sing
- Wie der Herr, so's Gescherr
- Das Fähnchen, Mäntelchen nach dem Winde hängen
- Jemandem (nicht) gewachsen / ebenbürtig / überlegen
sein
- Was der eine darf, darf der andere noch lange nicht
- (vgl. Quod licet Jovi non licet bovi)
Und aus dem Plattdeutschen:
- Maak, wat du wullt, de Lüd snackt doch (= Was immer
du tust, die Leute reden doch darüber/kritisieren)
- Holl din Muul un laat de Mühme küren
(= Halt den Mund und lass die Muhme/ die Erwachsenen reden)
|

3.
Redensarten, Sprichwörter und
performative Verben, die mit der psychophysischen Verfassung,
der augenblicklichen Partnertaktik und den psychosozialen Erfahrungen
der Kommunikationspartner
zu tun haben. |
Was die Leute zu Gefühlen und Beziehungen
in der Kommunikation sagen:
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- Hans Dampf in allen Gassen
- Umwerfend / erdrückend / überzeugend vortragen
/ argumentieren
- Um den heißen Brei herum reden
- Mit seiner Meinung hinter dem Berg halten
- Das habe ich nicht so gemeint
- Die Schnauze voll haben
- Entweder oder / Ohne Wenn und Aber
- Sich herausreden
- Jemandem verschlägt es die Sprache
- Aufmucken
- Sich aus jemandem etwas machen
- Aufeinander eingehen
- Sich verstehen
- Zwei Seelen - ein Gedanke
- Aufeinander zugehen, Rücksicht nehmen
- Die Gelegenheit beim Schopfe packen
- Jemanden einpacken, überfahren
- Jemanden an der Ehre / am Portepee packen
- Nicht gut auf jemanden zu sprechen sein
- Jemandem zu nahe kommen
|
4.
Redensarten, Sprichwörter und kommunikative Begriffe, die
etwas mit dem Aufrichtigkeitsgebot (Sprechakttheorie) zu tun
haben: |
Was die Leute über den 'Wahrheitswert' in
der Kommunikation sagen.
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- Lügen haben kurze Beine
- Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn
er auch die Wahrheit spricht
- Es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen
- Auf Biegen und Brechen
- Sich die Wahrheit hinbiegen
- Aufrichtig/unaufrichtig sein
- Als Sprecherexplikation:
das ist echt (= wirklich) wahr;
|

Soweit diese erste Sammlung
und Kategorisierung.
Zunächst fällt auf, wie viele Redensarten und Sprichwörter
sich mit der defekten, verzerrten oder nicht zustande gekommenen Kommunikation
beschäftigen. Der am Anfang unseres Lernprogramms behandelte
Satz:
"Die Kommunikation findet zwar mit den Faktoren des Kommunikationsmodells
statt, aber praktisch nie nach dem Kommunikationsmodell"
,
bestätigt sich auch in der Beobachtung "des Volkes".
Kommunikation hat verschiedene wichtige Voraussetzungen für das
Zustandekommen und ist außerordentlich störanfällig.
Das heißt nicht, dass, wie manche Kommunikationspsychologen
vor allem psychotherapeutischer Herkunft meinen, gelungene Kommunikation
fast die Ausnahme von der Regel ist. Wir sollten aber unser Bemühen
auf gelungene Kommunikation als ein kostbares Gut richten und zu dem
Gelingen positiver Kommunikation aktiv beitragen.
Einige Gedanken zu diesen Gruppierungen der Sprichwörter
Weder das Kommunikationsmodell noch die Sprechakttheorie können
das Gelingen von Kommunikation wirklich vorhersagen. Sie können
schon aus methodischen Gründen und aus Gründen der Reichweite
der Theorieentwürfe nur Vorannahmen tätigen.
Aktuelle Kommunikationssituationen sind jedoch komplex und nur bedingt
vorhersehbar.
Es gibt eben Faktoren in der Kommunikation, die nicht selbstverständlich
sind, sondern manchmal gar nicht gegeben sind, z.B.:
- Kommunikationsbereitschaft
(
vgl. Redensarten/Sprichwörter: Punkt 1)
- prinzipielle Gleichheit der Kommunikationspartner
(vgl. Redensarten/Sprichwörter: Punkt 2)
- Aufrichtigkeit und Authentizität
(vgl. Redensarten/Sprichwörter: Punkt 3/4)
Bei genauer Betrachtung stellen wir fest, dass sich
alle Redensarten unter Punkt 4 mit dem Aspekt der "Aufrichtigkeit",
wie sie die Sprechakttheorie zur Voraussetzung des "Glückens"
von Kommunikation macht, beschäftigt. |
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- Die Erwartung, dass der andere die Wahrheit spricht, scheint
dem Volke sehr wichtig zu sein. Es gibt scharfe Sanktionen
für Lügner, die den Ausschluss von jeder Kommunikation
bedeuten können.
- Die Versicherung, die Wahrheit zu sprechen, wird bis zu
formellen Beteuerungen wie "echt" bzw. "wirklich"
abgegeben, damit der Verdacht einer Lüge gar nicht erst
aufkommt. Der Begriff der "Notlüge", meist
aus Rücksichtnahme auf den anderen, gilt als einzige
Entschuldigung.
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Auch unter Punkt 1 sind
wesentliche Faktoren der Kommunikation in Frage gestellt: |
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- dass es z.B. keine Nachricht gebe ("Nichts zu sagen
haben),
- dass es keine oder die falsche Sprache (Code) gebe ("Jemandem
verschlägt es die Sprache"; "Eine andere Sprache
sprechen"),
- dass es an der Fähigkeit und/oder Bereitschaft zur
Kommunikation mangele ("Aneinander vorbeireden";
"Nicht auf jemanden hören, weghören";
"Die Ohren auf Durchgang stellen"), usw.
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Zwar gibt es gesellschaftliche Schichtenmodelle und Untersuchungen
zum Rollenverhalten, jedoch muss man schon in die Gesprächs-
und Konversationsanalyse hinübergehen, um detailliertere Untersuchungen
zum Gesprächsverhalten, den Rollen in Gesprächen, institutionelle
Rahmenbedingungen u.ä. zu finden. Der Bereich der sozialen Normen
ist, wie die Sammlung der Sprichwörter und Redensarten unter
2 zeigt, dem Volke (und uns in unserer gesellschaftlichen Praxis auch)
sehr wichtig: das Schlimmste ist schon: "aus der Rolle zu fallen".
Der im 3. Teil angesprochene Bereich der Partnertaktik ist der Soziolinguistik
meist gar nicht (allenfalls in Untersuchungen über die Frauen-
und Männersprache), in der Konversationsanalyse wenig generell
untersucht. Dieses ist erstaunlich, denn gerade dazu fallen uns so
viele Sprichwörter und Redensarten ein.
Manches mag in der Kommunikationspsychologie, der ja das Lernprogramm
' Kommunikation und Konfliktlösung' besonders verpflichtet ist,
behandelt sein, aber, , keinesfalls (immer) in Volkes Sinne, wie wir
sehen werden.
So können die Wissenschaftler und auch die, die in der Reflexion
über Kommunikation stehen (Kommunikationstrainer, Lehrer/innen,
fortgeschrittene Schüler/innen)
durchaus etwas aus der Phraseologie dazulernen.
1.3. Wovon kann ich lernen
1.5
Fünf kommunikationspsychologischen Axiome
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