1 Nachdenken über Kommunikation und Rhetorik

1.8 Kommunikationsstile










Der bedürftig-abhängige Stil

Erscheinungsbild, Grundbotschaft und seelischer Hintergrund


Dieses ist der Ausgangspunkt für "einen Kommunikationsstil, der darauf abzielt, sich selbst als hilflos oder überfordert darzustellen und dem anderen das Gefühl zu geben, er müsse einspringen, helfen, entscheiden und verantworten, sonst wäre alles verloren."

Natürlich braucht der Bedürftig-Abhängige einen Helfer und sucht ihn sich auch. Dieser würde natürlich in einem anderen Stil kommunizieren, z.B. im helfenden Stil

Hierzu ein Beispiel:

Bedürftig-Abhängiger Ach, Mensch, ich glaub, du weißt gar nicht, wie mir im Moment zumute ist!
Sag mal, könntest du nicht heute Abend kurz vorbeikommen, dass wir
die Sache mal in Ruhe durchgehen?
Helfender

Also heute Abend ist schlecht.

Bedürftig-Abhängige

(schweigt)
Helfender Höchstens morgen.
Bedürftig-Abhängiger

(schweigt)
Helfender Hörst du?
Bedürftig-Abhängiger (mit tonloser, ersterbender Stimme)
Ja, ja.

Helfender Also gut, heute Abend, aber nicht vor halb elf, und nur kurz.
Wir werden schon alles hinkriegen!
Bedürftig-Abhängiger (hoffnungsvoll)
Ja, meinst du?

Wenn man dieses Gespräch auf die Teilbotschaften nach dem  Nachrichtenquadrat hin analysiert, kommt man mit Schulz von Thun zu folgenden Teilbotschaften:

die Selbstkundgabe der Hilfsbedürftigkeit:
"Allein schaff ich es nicht, ich bin dem nicht mehr gewachsen! Ich kann das nicht, wie sollte ich auch mit meinen schwachen Kräften!"

die (verführerische) Beziehungsbotschaft:
"Du bist stark und kompetent!", durch die sich der Empfänger oft sehr angesprochen fühlt. Denn im Kontakt mit dem Hilfsbedürftigen darf er eine Seite an sich spüren, die ihn aufwertet und die sich gut anfühlt: fähig zu sein und gebraucht zu werden.

Diese Beziehungsbotschaft wird manchmal direkt ausgesprochen, überwiegend aber durch die ganze Art der Gesprächsführung signalisiert.
Direkte und verdeckte Appelle, alle von der Art : "Hilf mir, du musst für mich sorgen, hörst du? Lass mich bloß nicht im Stich!" - im obigen Beispiel zunächst direkt ("Könntest du nicht heut Abend kurz vorbeikommen ... ?"), später dann "stumm", als der direkte Appell nicht gleich die erwünschte Wirkung zeigt - der unausgesprochene Vorwurf "Ja, ja, in der Not hat man dann keine Freunde!" lastet drückend in der Hörmuschel und zeigt prompt seine Appellwirkung.



Grundbotschaft des bedürftig-abhängigen Stils

"Angesichts der Hilf- und Kraftlosigkeit, die der Bedürftig-Abhängige demonstriert, mag es überraschen, wie kraft- und machtvoll er auf seine Mitmenschen emotionalen Einfluss ausübt. Man kann sich ihm nicht leicht entziehen! Um nicht als herzlos und egoistisch dazustehen, fühlt man sich verpflichtet, mit Rat und Tat einzugreifen - und "irgendwie" sieht man sich bald in die Probleme verstrickt, wie von Zauberhand plötzlich die Verantwortung dafür auf sich lasten, ob alles gut geht. Wer nach dem Köder der Beziehungsbotschaft "Du bist stark und fähig!" geschnappt hat, hängt auch an ihrem Angelhaken: "Und du bist zuständig!"
Wenn wir also auch die "power" des sich schwach und hilflos Gebenden nicht unterschätzen sollten, so wäre es doch verfehlt, ihm magische Kräfte zuzuschreiben. Hat vielleicht auch der Kontaktpartner ein heimliches Interesse, sich zu einem Engagement verführen zu lassen? Liegt vielleicht sogar ein gegenseitiges Verführungssystem vor?" (Schulz von Thun 1998: S.66)